„Connected TV ist im Wohnzimmer angekommen“

Jürgen Sewczyk

Jürgen Sewczyk, Managing Consultant, adesso mobile solutions GmbH und Vorstandsmitglied der FKTG, über die aktuelle Marktentwicklung von Connected TV in Deutschland.


Wie ist der deutsche Markt in Sachen Smart-TV-Angeboten aktuell aufgestellt?

Aus meiner Sicht sehr gut. Aus einer aktuellen Veröffentlichung der Deutschen TV-Plattform geht ja hervor, dass 96 Prozent der verkauften TV-Geräte heute „smart“ sind. Connected TV ist also definitiv im Wohnzimmer angekommen. Anders als noch vor einigen Jahren sind inzwischen auch viele Geräte an das Internet angeschlossen. Bei Pro7Sat.1 geht man etwa von circa zwölf Millionen Unique Devices, also identifizierbaren Endgeräten aus, die online erreichbar sind. Es dürften noch viel mehr sein, die ihre Geräte angeschlossen und ihre Einwilligung zur Datennutzung nicht gegeben haben, also anonym bleiben. 

All diese User können somit Apps und Mediatheken empfangen und konsumieren. Die Zahl der Mediatheken und deren Nutzer schnellt hoch; erst kürzlich hat RTL über drei Millionen User für sein erfolgreiches RTL+ Portal bekanntgegeben. Viele davon sind natürlich auf dem Second Screen unterwegs, also dem Tablet oder Smartphone, aber auch auf dem TV-Gerät werden die Angebote gut genutzt.  

Die Öffentlich-Rechtlichen spielen ebenfalls in diesem Markt mit. Bei ARD/ZDF gab es im ersten Quartal 2021 rund 140 Millionen Videoaufrufe über die Mediatheken. Man kann also sagen, dass der Videokonsum über Apps oder HbbTV sowohl bei den privaten als auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern angekommen ist. Und die  großen amerikanischen Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon Prime sind inzwischen ja ebenfalls über die App Fernsehportale erreichbar.

Das Angebot in Deutschland ist also sehr breit aufgestellt.

Wo sind noch die größten Hürden bei der Weiterentwicklung im Markt für die TV-Sender aus technischer Sicht?

Die große Herausforderung sind die Betriebssysteme. Wir haben im Bereich Smart TV aktuell sechs Betriebssysteme. Inhalteanbieter müssen daher schauen, auf welche Art und Weise sie ihre Angebote kostenoptimiert zur Verfügung stellen wollen. 

Will man alles breit abdecken, heißt das, dass alle sechs Betriebssysteme plus HbbTV bedient werden müssen. Eine alternative Überlegung ist, zunächst nur mit drei bis vier reichweitenstarken Plattformen zu starten, um z. B. rund 50 Prozent des Marktes abzudecken. Ist der Inhalteanbieter ein TV-Sender, sollte er seine Angebote auf jeden Fall auch in HbbTV zur Verfügung stellen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Weiterentwicklung der Systeme. Hier muss der Konsument darauf achten, das Betriebssystem des Fernsehers auf dem aktuellen Stand zu halten und die Software-Updates einzuspielen, um sich vor Schadsoftware zu schützen. Bei HbbTV gibt es derzeit die Weiterentwicklung  HbbTV 2.x. Damit erreicht man zwar momentan noch nicht alle Fernseher, aber man ist breit aufgestellt und kann etwa die Personalisierung weiter vorantreiben, was ja auch von großem Vorteil für die Inhalteanbieter ist. 


Sind die strengen Datenschutzbestimmungen in der EU in diesem Zusammenhang ein Wettbewerbsnachteil für die Anbieter?

Die DSGVO ist überhaupt kein Nachteil, da alle Anbieter, die im EU-Raum agieren, diese akzeptieren müssen. 

Die Datenschutzbestimmungen gelten also für die Apps der amerikanischen Anbieter ebenso wie für HbbTV oder andere Anbieter aus Deutschland und Europa.User müssen bei der Erstinstallation zustimmen und werden explizit darauf hingewiesen. 

Die Bedingungen sind für alle Mitbewerber gleich. 

In welchem Bereich haben zukunftsfähige Angebote die größten Chancen? Geht der Trend zur Nische, etwa im Sport und Kulturbereich? 

Die Nischenangebote haben Smart TV natürlich auch entdeckt, obwohl die großen, etablierten Marken sehr dominant sind. 

Es wird ja in diesem Zusammenhang gerade auch über Auffindbarkeit und Public Value durch den Medienstaatsvertrag diskutiert. Dieses Thema ist nicht neu, aber dass es derzeit wieder so aufgeflammt und politisch geworden ist, hängt natürlich mit der Wichtigkeit des Themas Auffindbarkeit zusammen. 

Wenn man als kleiner Inhalteanbieter ohne Crossmarketing durch den etablierten Mutterkonzern agiert, hat man es natürlich schwer. Aber das gilt seit vielen Jahren, mit der unüberschaubaren Flut an Programmangeboten, für den gesamten TV und Online Bereich.

Insgesamt lässt sich trotzdem sagen, dass die Smart-TV-Programm Angebote in den letzten Jahren sehr vielfältig geworden sind. Ob Sport, Entertainment, Wissen und vielem mehr, die Konsumenten können aus unzähligen Angeboten wählen. 


Stichwort XR und Metaverse: Wir sehen gerade die guten Kritiken zur Premiere der Abba-Show, die virtuelle und reale Welten mischt. Auch mit dem Metaverse experimentieren Sender wie Arte und andere bereits. Was können wir hier in Zukunft erwarten?

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es in dieser Richtung weitergeht. Man wird jetzt sehen müssen, wie das Abba-Konzert insgesamt angenommen wird, aber die ersten Berichte klingen schon sehr vielversprechend.

Momentan wird ja die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz in den Medien stark vorangetrieben. KI im Gleichklang mit personalisierten Inhalten und der Möglichkeit diese Inhalte, im Rahmen solcher Events besonders zu bepreisen, das könnte schon erfolgversprechend sein. 

Zumal der Trend bei den oft breitbandig ans Internet angeschlossenen Fernsehern auf zunehmende Bildschirmgrößen mit besserer Bildqualität wie HDR und höherer Auflösung geht und viele Menschen inzwischen auch Surround-Sound-Anlagen in ihren Wohnzimmern haben, kann man dann in Zukunft die große „Metaverse“-Bühne wahrscheinlich auch nach Hause holen.

-AB
Bild: Jürgen Sewczyk