Wege aus dem Buzzword-Dschungel

Michael Bauer

Michael Bauer, Customer Excellence Manager, VIZRT, und FKTG-Vorstandsmitglied, im Interview über Ursache und Wirkung von aktuellen Begriffen in der Medienproduktion. Welche Herausforderungen stehen Sendeanstalten aktuell aus personeller, wirtschaftlicher und technischer Sicht  gegenüber?



Wie waren die Hamburg Open 2022 aus Deiner Sicht?

Die Hamburg Open 2022 waren eine sehr gelungene Veranstaltung auf relativ hohem Niveau, was Organisation und inhaltliches Programm angeht. Auch was die Besucher selbst angeht, war es eine sehr gute Mischung, auch mit vielen neuen Gesichtern. Auch waren viele Entscheider aus den Medienhäusern da.

Aus Austellersicht kann ich sagen, die Entscheidung zum eigenen Stand war richtig, um eine Anlaufstelle zu haben. Ich hatte leider keine Zeit, mich genauer auf der Messe umzuschauen, da ich im Vortrags-/Panel-Programm und ansonsten am Stand aktiv war.

Von Kunden aus den Sendeanstalten habe ich ebenfalls gehört, dass sie sehr zufrieden waren. Es sei nicht so extrem überlaufen gewesen und man habe sich die Zeit nehmen können, sich Dinge ohne Stress genau anzusehen und Gespräche zu führen.
 

Du  hattest im Rahmen des Events unter anderem einen Vortrag zum Thema „'Hybride' Multiplattform Live-Produktion, XR, Cloud". Ganz schön viele Schlagwörter, oder?

Ja, ich wollte so viele aktuelle Schlagwörter wie möglich in den Titel bringen. Und in meiner Einleitung habe ich sogar noch viele mehr in einer "Buzzword Cloud“ zusammengetragen. Alles Begriffe, die in unserer Branche genutzt werden. Aber was heißt das genau? Wenn man diese Frage stellt, wird schnell deutlich, dass es gar nicht so einfach zu definieren ist.

Das Ziel meines Vortrags war dann auch, einmal zu beleuchten, wo wir aktuell stehen: Was will der Konsument/Nutzer? Und was bedeutet das für den Content-Anbieter, und zwar in personeller, wirtschaftlicher und technischer Sicht? Um dann aufzuzeigen, wie die definierten Herausforderungen auf eine zukunftsfähige Basis gestellt werden können, die ebenfalls alle drei Bereiche berücksichtigt.


Beginnen wir mit den Konsumenten…

Die haben es eigentlich relativ einfach. Viele von ihnen sind schon seit einigen Jahren quasi „hybrid“ unterwegs, das heißt sie nutzen TV und mobile Endgeräte parallel und möchten auch Inhalte auf allen von ihnen bevorzugten Devices und Plattformen konsumieren. 

Welche Plattformen das sind, ist natürlich auch nicht in Stein gemeißelt. Es kommen immer neue hinzu, andere werden unpopulär. Gerade im Bereich Social Media wechselt der Trend ja relativ schnell.

Die TV-Sender haben das inzwischen erkannt und in den letzten Jahren immer mehr in Online-Angebote investiert, ihr Budget also zwischen klassischen linearen Ausspielwegen und neuen Plattformen aufgeteilt. In einer „crossmedialen“ Zukunft werden diese Unterscheidungen aber nicht mehr gemacht werden. Da gilt "einer/eines/eine für alles“: 1 Produktion mit multiplen Outputs. Der TV-Sender wird so zum Medienhaus.
 

Welche Herausforderungen ergeben sich aus dieser Entwicklung für die Sender?

Sie stehen gleich dreifach unter Druck: 

Technisch müssen sie so ausgerüstet sein, dass sie alle Plattformen (lineares TV, Mediathek, Social Media, XR usw.) optimal bedienen können. Mit all ihren unterschiedlichen Formaten und Zuspielwegen. Das bedeutet, die Technik für die Produktion, etwa einer eigentlich recht simplen Nachrichtensendung, wird immer komplexer.

Personell müssen die Anbieter so aufgestellt sein, dass sie Teams haben, die über die Kompetenzen verfügen, diese Technik auch einsetzen zu können und mit den sich wandelnden Anforderungen und schnellen Workflows zurechtkommen. Das bedeutet unter Umständen einen erhöhten Schulungsbedarf für die bestehenden Mitarbeiter oder auch die Investition in neue Talente.

Wirtschaftlich stehen sie dadurch vor dem Dilemma, dass sie eine nicht unerhebliche Summe in Technik und Personal investieren müssen, gleichzeitig aber vor dem Hintergrund der wachsenden Fragilität der Medienmärkte Kosten einsparen sollen. 

Nimmt man dann noch die teils fehlenden Standards oder Besonderheiten wie abteilungsübergreifende Investmentzyklen dazu, ist man schnell bei einem Teufelskreis angelangt, aus dem es kein Entrinnen mehr zu geben scheint. 

Es ist also wichtig, den gesamten Wertschöpfungszyklus neu zu denken, um diese Herausforderungen adäquat anzugehen.


Wo ist denn dann der geeignete Ausgangspunkt für ein solches Projekt, muss nicht zuerst die Technik stehen?

Da wären wir wieder beim klassischen Denkmuster. Es wird vielfach zuerst von der Technik aus gedacht. Dabei muss doch die Redaktion zunächst einmal festlegen, welche Programme sie überhaupt für die Zukunft planen und was dabei realisierbar sein muss. Das muss dann mit der Technik abgestimmt werden. 

Am besten gelingt das mit einer Person als Schnittstelle, die beide Seiten, Design und Technik, versteht und zusammenbringt. Eine neue und wichtige Position in einer neuen Medienwelt, die enormes Know-how voraussetzt. Überhaupt wird es im Bereich Personal signifikante Veränderungen in den Aufgabenbereichen der Mitarbeiter geben.

Crossmediale Produktion
Fr., 17.06.2022 - 08:09

Redakteure werden in Zukunft sehr vieles selbst machen, wofür es jetzt noch spezielle Operatoren gibt. Die technischen Anforderungen im Bereich Redaktion werden also steigen, darf die Redakteure aber auch nicht überfordern, da der Content für sie ja im Mittelpunkt stehen muss. 

Auf der anderen Seite werden technische Positionen gefragt sein, die ein sehr tiefes Know-how erfordern. Das bedeutet, dass sich die Kompetenzen im Berufsfeld für Operatoren deutlich verschieben. Sie müssen sich neue Skills aneignen, wenn sie im Medienumfeld von morgen eine Chance haben wollen.


Wenn sich die Anforderungen an die Produktion und die damit verbundenen Berufsfelder derart verändern, wie sollte dann die dazugehörige Technik aussehen?

Wenn wir von dem Ziel einer Multiplattform-/Multiformat-Produktion ausgehen, benötigt man zunächst eine Plattform, die auf Standard-Hardware läuft, als Grundlage. Darüber wird dann ein Software Layer gelegt, das alle Funktionalitäten abdeckt. 

Auf diesem Software Layer muss dann noch ein weiteres Layer mit den verschiedenen Applikationen liegen, mit denen der komplette Workflow abgedeckt wird, von Content-Erstellung (Audio/Video/Grafik) bis zur Ausspielung auf die verschiedenen Kanäle (linear/online/Social Media). Bildlich vereinfachend gesagt ähnelt der Aufbau damit quasi einem Smartphone: Hardware, Software, Apps nach Bedarf - läuft.

Wichtig ist dabei, dass bei einer echten Multiformat-Produktion auch keine Trennung mehr zwischen den einzelnen Inhalten stattfindet. Video, Audio und Grafik sollten im Sinne der Effizienz gemeinsam verwaltet werden.

Diese gesamte technische Ausstattung muss entweder vom Frontend her komplett auf Usability ausgelegt oder mit automatisierbaren Prozessen hinterlegt sein, damit der „Faktor Mensch“ als Fehlerquelle ausgeschlossen werden kann. Gerade die Redaktion soll damit ganz praktische Werkzeuge an die Hand bekommen, die es ihr auch ohne viel technisches Hintergrundwissen ermöglicht, zu prüfen, ob eine Story zum entsprechenden Format passt, alle Kameraeinstellungen stimmen usw. Natürlich muss bei jeder Automatisierung nach wie vor ein manuelles Eingreifen möglich sein.


Kommen wir noch zum Stichpunkt Wirtschaftlichkeit: Wie ist dies für Sendeanstalten darstellbar?

Zunächst einmal ist bei einem solchen Szenario kein kompletter Neustart „von Null“ aus erforderlich. Die Migration kann schrittweise erfolgen. Wichtig ist aber, dass nicht nur die Gesamtkosten eines Projekts bedacht werden, sondern die Kosten immer auch in Relation zu den Mehrwerten gesetzt werden müssen, die man damit erhält.

Wenn zum Beispiel ein Studio durch Multiformat-Produktion gleich von mehreren Sendern gemeinsam genutzt werden kann oder durch Verlagerung der Regie in die Cloud Ersparnisse im Stromverbrauch von bis zu 90 Prozent möglich sind, dann sind sind die Gesamtkosten noch einmal deutlich anders zu bewerten. 

Vor dem Hintergrund der Pandemie haben wir gesehen, wie schnell sich Dinge ändern können. Und je flexibler man seine Produktionsbedingungen ausgelegt hat, desto eher kann man solchen Veränderungen begegnen. Flexibilität ist für die Medienbranche heute ein Key Asset.

 

-AB
Schmuckbild: Manfred Steger, Pixabay
Portraitbild: Michael Bauer