„Personenzentrierte Angebote entwickeln“

Annika Berchtold, OPEN

Annika Berchtold, Director People, Culture & Transformation bei OPEN, über erfolgreiches Change Management im Digital- und Medienumfeld.


Sie sind seit November 2022 als Director People, Culture & Transformation bei OPEN, einem Zusammenschluss mehrerer Digitalagenturen, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen. 

Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wo Sie bei der Entwicklung von Change-Maßnahmen angesetzt haben? Was ist sozusagen der rote Faden, der alle verbindet?

Ich finde es zunächst einmal sehr wichtig, einfach zuzuhören und zu lernen. Ich habe mit jedem einzelnen Unternehmen intensiv gesprochen und mir ein Bild darüber gemacht, wo dieses Unternehmen überhaupt steht. Dann erst kann ein Zukunftsbild entstehen, das aus diesem personen- und menschenzentrierten Ansatz heraus entwickelt wird.

Denn die Einzigartigkeit jedes Unternehmens ist ja das, was uns in den letzten Jahren sehr erfolgreich gemacht hat. Daraus soll keinesfalls ein „Einheitsbrei“, sondern eine Vision mit gemeinsamen Standards, etwa im Recruiting oder bei der Führungskräfteentwicklung, entstehen.

Die Schnittmenge mit der größten Hebelwirkung ist dort, wo alle einen Mehrwert sehen. So können wir auch weiterhin gemeinsam einzigartig sein.

Was versteht man in diesem Zusammenhang unter „Culture Add“?

In vielen Unternehmen besteht zum Beispiel im Recruiting eine Tendenz zum „Culture Fit“, das heißt Bewerberinnen und Bewerber einzustellen, die so ähnlich ticken wie man selbst. Derjenige oder diejenige passt dann in die Unternehmenskultur und alle fühlen sich wohl. Diese Vorgehensweise ist im Hier und Jetzt verankert. Man sorgt dafür, dass alles reibungslos weiterläuft.

„Culture Add“ bezieht jedoch auch die Zukunft ein. Denn jedes Unternehmen muss sich darüber Gedanken machen, was es morgen braucht. Und das erreicht man vielleicht eher mit einer Person, die eben nicht so ist wie alle anderen, sondern die vielleicht auch einmal aneckt.

Diverse Teams fördern Innovation, man wird dazu aufgefordert, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die Culture-Add-Haltung sollte darüber hinaus auch in anderen organisationalen Fragestellungen der Employee Journey etabliert werden.

Ein Beispiel: Wer künftig Mitarbeitende im eigenen Unternehmen halten will, der braucht andere Ideen als 20 verschiedene Sorten Tee oder einen Obstkorb. Es sollten personenzentrierte Angebote sein, die auf die aktuelle Lebenssituation der Mitarbeitenden eingehen. Das kann zum Beispiel auch Unterstützung in der Schwangerschaft oder Hilfe bei psychischen Problemen bzw. Suchterkrankungen sein.

Sie kommen ja aus der Versicherungsbranche, haben zuvor bei der HDI und den Targo Versicherungen Change-Projekte erarbeitet. Jetzt die Digital- und Kreativbranche. Ist die Herangehensweise an Change-Projekte in diesem Umfeld anders oder gibt es eine gemeinsame Basis?

Im Grunde genommen sind die Herausforderungen identisch und die Themen in den Transformationsprozessen bleiben gleich. Es geht in allen Fällen besonders um die menschliche Komponente. Es geht um individuelle Bedürfnisse und darum, zu verstehen, wo sich die Mitarbeitenden in ihren eigenen Change-Prozessen aktuell befinden.


Dem Widerstand, der einem in Change-Prozessen entgegengebracht wird, kann nur durch transparente Kommunikation begegnet werden.


Auf einer Konferenz hat ein Redner dazu einen schönen Vergleich gezogen: „Nicht die Höchstgeschwindigkeit bereitet Übelkeit, sondern die Beschleunigung.“ Dem Widerstand, der einem in Change-Prozessen entgegengebracht wird, kann nur durch transparente Kommunikation begegnet werden.

Bei OPEN haben wir dazu regelmäßige Meetings, um die Mitarbeitenden über aktuelle News zu informieren und mit einzubeziehen. Dazu gibt es Task Forces für die Kernthemen Sales, Marketing, Legal, People & Culture, Datenschutz und Finanzen - weitere sind in Planung. Diese Task Forces arbeiten hierarchie- und unternehmensübergreifend.

Egal, ob es sich also um große Versicherungskonzerne handelt, um Medienunternehmen oder Kreativagenturen, es gilt immer das „Voneinanderlernen“. Natürlich sind Änderungsprozesse in Großunternehmen meist langwieriger, da es viel mehr Regulierungen gibt und zum Beispiel Mitbestimmungsgremien einbezogen werden. In kleineren Unternehmen gehen Änderungen häufig schneller voran.

Mo., 08.05.2023 - 15:20

Wir erleben gerade einen Hype rund um KI-Services. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Medien- und Kreativunternehmen vor diesem Hintergrund, sowohl was die Unternehmensstrategie als auch die Mitarbeitenden betrifft?

Ich habe die Befürchtung, dass nicht schnell genug auf die Mensch-Maschine-Interaktion eingegangen wird. Es wird vermutlich auf ein „Entweder-oder-Szenario“ hinauslaufen, also ein Unternehmen setzt KI ein oder eben nicht. Dabei müsste es ein „Sowohl-als-auch“ sein. Denn KI kann eine riesige Unterstützung sein, die Effizienz steigern und Arbeit erleichtern.

Wenn menschliche Faktoren mit einbezogen werden und gemeinsam eine klare Strategie entwickelt wird, wie KI sinnvoll einzusetzen ist, kann man sich von anderen Unternehmen abheben. Keinesfalls sollten Unternehmen warten, bis der KI-Zug ohne sie abgefahren ist. Netzwerken, menschlich bleiben und transparent kommunizieren ist auch hier der Schlüssel zum Erfolg.

Welche weiteren Herausforderungen gibt es aus Ihrer Sicht noch?

Ich glaube, uns alle beschäftigt der Fachkräftemangel, der ja inzwischen auch ein Arbeitskräftemangel ist. Corona hat aus meiner Sicht die „Great Resignation“, also die freiwillige Kündigung vieler Arbeitnehmer, beschleunigt. Es besteht allgemein eine geringere Bindung zum Unternehmen. Und diese Entwicklung ist noch nicht beendet. Wir werden hier künftig grundsätzlich anders denken müssen.

Das betrifft nicht nur die Aus- und Weiterbildung und die Fähigkeit, sich den eigenen Nachwuchs selbst heranzuziehen. Es müssen die Bedürfnisse der Mitarbeitenden stärker in den Fokus gerückt werden. Wenn also ein Mitarbeiter zum Beispiel neben seinem Hauptberuf noch ein Startup gründen will, warum sollte das nicht unterstützt werden? Früher hätte man in einem solchen Fall gesagt „Wenn Du nicht 100 Prozent bei uns bist, dann war es das.“ Heute sollten wir eher die Chancen betrachten, die sich dadurch für uns selbst ergeben. Denn ein solches Startup kann auch dabei helfen, das eigene Unternehmen und die Mitarbeiterbindung zu stärken.

Was sind Ihre nächsten Ziele bei OPEN?

Ein ganz kurzfristiges Ziel ist im Juni unsere Summer Session für alle Mitarbeitenden. Es gibt ein Update aus dem OPEN Management, den Task-Forces und den Themen, die alle betreffen. Weiterhin stellen wir ein neues Kommunikationsformat vor, den OpenSpace: Er soll es den Mitarbeitenden unternehmensübergreifend ermöglichen, über Themengebiete zusammenzukommen. Und natürlich gibt es auch viel Raum zum Socialising.

Längerfristig geht es an die Finalisierung der OPEN-Dachkultur, mit der wir eine Symbiose schaffen wollen, quasi das Beste aus allen Welten. Über Online-Workshops wollen wir die Werte von OPEN gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestalten. Das wird noch ein sehr großes und spannendes Projekt. Zeitgleich wird ein Programm für Führungskräfte anlaufen, die in diesem Change-Prozess eine wichtige Vorbildfunktion übernehmen und die gemeinsame Idee mittragen. Sie müssen wir ganz besonders unterstützen.

Und dann möchte ich auch noch in diesem Jahr das Alumni-Netzwerk umsetzen. Es gibt also noch viel zu tun in den nächsten Monaten.

-AB
Bildquellen: Annika Berchtold