Netzneutralität um jeden Preis?


 

Autor: Norbert Bolewski

 


Open Internet bzw. Netzneutralität

Der Begriff „Netzneutralität“ umschreibt ein Prinzip des Internets, das da lautet: Jedes Bit ist gleich. Das klingt, als hätten da demokratische oder soziale, vielleicht sogar ethische Gründe  den Ausschlag gegeben. Tatsächlich basiert es aber auf der wissenschaftlich logisch begründeten Erkenntnis, dass sich, wenn alle Informationen innerhalb des Netzes über den Weg geleitet werden, der gerade frei ist, bei einer begrenzten Anzahl an Leitungen der größte Nutzen ergibt. Denn so wird die gesamte Infrastruktur ausgelastet, nicht nur einzelne Teile.

EU-Meinung vor einem Jahr

Fast genau vor einem Jahr hielt  EU-Kommissarin Neelie Kroes, in der Europäischen Union für die Digitale Agenda zuständig, eine Rede mit der Aussage, dass die EU ein offenes Internet für alle garantieren will. Sie stellte gleichzeitig einen entsprechenden Plan vor. Anlass waren heftig geführte Diskussionen um die Netzneutralität.

Mit ihrer Rede schien es damals, als ob diese Regel EU-weit Anwendung finden könnte. Dabei führte sie in ihrer Rede sogar direkt als Beispiel an, dass jemand, der ein Videokonferenz-System gekauft hat, auch bestrebt ist, eine möglichst garantierte gute Qualität der Übertragung zu erhalten.  Und „wenn jemand bereit ist, dafür mehr zu bezahlen, sollten dem keine EU-Regeln im Weg stehen." Doch wie soll das gehen, wenn alle Bits gleich sind und gleich bleiben sollen?

T-Entertain

Da hatte die Deutsche Telekom auch schon in ihrem Videodienst T-Entertain eine Netz-Flatrate mit Datenobergrenze vorgesehen.  Nach „Verbrauch“ seines monatlichen Datenvolumens wäre ein normaler Internetanschluss gedrosselt worden, aber die über T-Entertain bezogenen Daten sollten davon ausgenommen sein. Nach Protesten und entsprechenden Gerichtsentscheidungen hat man dann erst einmal davon Abstand genommen. 

Änderungen der USA-Regelung seit 2010

In den USA gibt es schon seit 2010 die Regelung der FCC (Federal Communications Commission), dass kein Internet-Provider den Zugriff auf bestimmte Websites oder Dienste blockieren dürfe und jeden Internet-Datenverkehr gleich behandeln müsse. Doch im Januar 2014 folgte der U. S. Court of Appeals (Bundesberufungsgericht) dem Einspruch mehrerer Kabelbetreiber und hob diese Entscheidung auf. Das Gericht begründete das mit der Meinung, dass die „Open Internet”-Regeln (Netzneutralität) die Breitband-Provider zwängen wie  gewöhnliche Netzwerkbetreiber ("common carriers") tätig zu sein. Dadurch, dass die  „Broadband Providers“ aber eben keine “common carriers” seien,  könne die FCC auch keine Regeln für sie aufstellen. Es gäbe natürlich die Möglichkeit in verschiedener Weise dagegen rechtlich noch dagegen vorzugehen, schrieb damals, im Januar 2014, der Kommentator und erinnerte daran, dass schon bei der Debatte der „Open Internet“-Regeln  zahlreiche Konsumentengruppen  darauf drängten, festzuschreiben, dass die Breitband-Provider tatsächlich doch eigentlich nichts anderes seien als gewöhnliche Netzwerkbetreiber. Doch gab es von den großen Telekommunikationsfirmen und deren Vertretern im amerikanischen Kongress beträchtlichen Gegenwind. Und sein Fazit war, dass man wohl vor der starken Industrie-Lobby einknicken wird. http://goo.gl/aWBcjs

EU „Spezialdienste“

Die Lobby in der EU ist nicht weniger fleißig. Im März dieses Jahres hatte der EU-Industrieausschuss einen Vorschlag gemacht. Anders als in den USA spricht man dabei nicht von dem  Begriff des „gewöhnlichen Netzbetreibers“ sondern von "Spezialdiensten". Zwar will man strengere Regeln gegen das Blockieren von Konkurrenzdiensten einführen. Aber von einer Netzneutralität kann man ja wohl nicht mehr reden, wenn man Providern die Möglichkeit einräumt, "Spezialdienste" in höherer Qualität anzubieten.

Noch vier Monate bis zur USA-Entscheidung

Die Internet-Riesen der USA – z.B. Comcast, Time Warner  – die auch weltweit eine entscheidende Rolle für die Internetkommunikation spielen,  haben Millionen von Dollars in Lobbyarbeit investiert. Und am 15. Mai scheint sich ihre Arbeit auszuzahlen. Wenn es nach der Mehrheit der Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (FCC) geht, werden die USA ganz offiziell eine Gesellschaft der zwei Geschwindigkeiten: Nur wer höhere Gebühren zahlt, soll Anrecht auf schnelle und verlässliche Internetverbindungen haben, schrieb der New-Yorker taz-Korrespondent am 17. Mai. Bevor diese Entscheidung Realität wird, sind noch vier Monate lang landesweite öffentliche Anhörungen geplant. Internetaktivisten kündigen einen heißen „Sommer der Netzneutralität“ an. http://goo.gl/dM9bDi

FCC-Regeln

Die Abmachungen sind andererseits an Bedingungen geknüpft. So müssen die Vorschläge öffentlich gemacht werden und dürfen nicht dazu führen, dass andere Datenpakete blockiert oder herabgestuft werden. Möglichkeiten gibt es mehrere, schreibt Johannes Kuhn in der SZ vom 16. Mai (http://goo.gl/SvoOA5 ) in einem längeren und sehr interessanten Bericht. Die Behörde könnte eine gewisse Grundgeschwindigkeit festlegen oder definieren, dass bestimmte Dienste immer ohne Probleme verwendbar sein müssen. Die FCC lässt also eine Überholspur auf der Datenautobahn zu, will aber gleichzeitig Staus auf den anderen Spuren verbieten.

Meinungen auf dem Medienforum

Neuerdings benutzt man nun den Begriff „Best-Effort“-Internet, um dem Begriff des Internets zweiter Klasse entgegenzuwirken.

Wie geht es bei uns weiter? Auf dem Medienforum in Köln am 21. Und 22. Mai machte Thomas Braun, Präsident des Verbands Deutscher Kabelnetzbetreiber (ANGA) deutlich, dass "Neue Geschäftsmodelle für Kabelbetreiber über die reine Verbreiterung der Bandbreite hinaus möglich müssen möglich sein" (Heise-News http://goo.gl/jnQiXP ). Er sieht die eigene Branche unter starkem Druck von Regulierungen, während die Content-Industrie aus den USA anscheinend ungebremst Gewinne machen. Ministerpäsidentin Hannelore Kraft will indessen an dem diskriminierungsfreien Transport der Daten nichts ändern.

Torsten Kleinz berichtete bei Heise über den weiteren Verlauf der ANGA und stellte in seinem interessanten Bericht mehrere Denkansätze der Referenten vor http://goo.gl/EXE2AV . Sympathie zeigte demzufolge Stephan Korehnke von Vodafone für die Pläne der US-Aufsichtsbehörde FCC, Providern freie Hand zu geben, Sonderleistungen an Diensteanbieter zu verkaufen. Die Pläne des EU-Parlaments, mögliche Sonderdienste an getrennte Infrastrukturen zu binden, hält er für unsinnig.

Anhörung im Bundestags-Ausschuss Digitale Agenda

Im Deutschen Bundestag gab es am 2. Juni im Ausschuss Digitale Agenda eine Diskussion über Netzneutralität. Es gebe in Deutschland kein Problem damit, meinte Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom. Es gehe nicht um ein „entweder oder“ sondern um ein „sowohl als auch“ von – und da ist wieder der schöne neue Begriff  – Best-Effort-Internet und Spezialdiensten mit standardisierter Qualität (Quality of Services). Hubertus Gersdorf, Kommunikationsrechtler an der Universität Rostock, wandte sich indessen gegen eine „Regulierung ins Blaue“. Denn man wisse heute noch nicht, ob die Vermarktung von Spezialdiensten zu einem „Austrocknen des Best-Effort-Internets“ führen würde.

Thomas Lohninger vom Verein Digitale Gesellschaft glaubt, dass die unregulierte Einführung von Spezialdiensten zu empfindlichen Wettbewerbsnachteilen und Markteintrittsbarrieren für nichtkommerzielle Dienste und Start-up-Unternehmen führen. Und Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) warnte vor einem Szenario, in dem nur jene Produkte, wie etwa Videos, „ruckelfrei“ übertragen werden, für die an die Provider extra gezahlt werde. Der Trend zur „vertikalen Integration von Inhalten und Infrastruktur“ sei der Alptraum für Medienbetreiber, betonte er. Ganz deutlich äußerte sich Klaus Landefeld  vom Verband der Deutschen Internetwirtschaft: Um Spezialdienste verkaufen zu können, bestehe der Anreiz, „andere Kanäle schlechter zu machen“.

100 Milliarden (!) Euro seien die Unternehmen der Internet-Wirtschaft bereit, in den Netzausbau zu investieren, sagte Bitkom-Chef Rohleder. Wenn dies gelinge, müsse eher darüber diskutiert werden, wie die dann vorhandenen Breitbandangebote überhaupt genutzt werden. „Wir müssen flächendeckende Qualitätsnetze für kleines Geld verfügbar machen“, forderte er.

Sind wirklich alle Bits gleich?

Wenngleich die Aussage, dass alle „Bits gleich sind“ logisch klingt und für jeden so schön (populistisch) verständlich ist, ist das ein bisschen sehr simpel gedacht. Das einzelne Bit stellt technisch gesehen nur den Status Eins oder Null dar, aber jedes Bit ist Teil einer zumindest im Prinzip sinnvollen Anwendung. Bei der Übertragung von Videostreaming liegt zum Beispiel ein sinnvolles Ergebnis darin, in schneller Reihenfolge Bilddaten zu übertragen und wiedergeben zu können, die man als Mensch zu erkennen vermag. Diese Anwendungen bzw. Übertragungen sind deshalb zeitkritisch. Das Internet hat aber kein Zeitkonzept und benötigt deshalb eine relativ lange Latenzzeit (Verzögerungszeit). Kommt es zu einem Datenstau, so erfolgt eine Drosselung der Bandbreite, es gibt zunehmende Qualitätsverluste bis hin zum Totalausfall. Bei nicht zeitkritischen Anwendungen, wie zum Beispiel fast allen Downloads, ist es hingegen möglich, die zu übertragenden Daten ohne jeglichen Verlust sowohl mit geringer Datenrate über eine geringere Bandbreite zu versenden. Einzig und allein die Übertragungsdauer bis zur Speicherung zum Beispiel auf der Festplatte variiert je nach den gewählten Parametern. Selbst 4k-Filme lassen sich problemlos „non realtime“ downloaden und danach ohne Beeinträchtigungen in hoher Qualität wiedergeben, sofern die Gerätedaten (Prozessoren, Display und anderes) das natürlich zulassen.

Marktbetrachtungen

Wir haben es also mit „gleichen Bits“ aber tatsächlich mit zwei ziemlich ungleichen Dingen zu tun. Und es gibt im Internet keine Möglichkeit, eine sogenannte „Quality of Service“ (Dienstequalität) zu garantieren. Alle Prognosen für die Nutzung des Internets gehen davon aus, dass Live-Video-Anwendungen, vor allem aber das Videostreaming, extrem zunehmen wird. Es besteht insbesondere vonseiten der jüngeren Bürger auch ein sehr hohes Interesse daran. Logischerweise gibt es deshalb auch immer mehr Medienunternehmen, die solch ein Angebot offerieren und wir wissen, dass in Kürze einige amerikanische Majors auch auf den deutschen bzw. europäischen Markt drängen. Kann aber eine gute technische Qualität der Übertragungen nicht gewährleistet werden, so wird der Verbraucher sie nicht kaufen bzw. abonnieren wollen. Ein enormer Verdrängungswettbewerb wird sowieso das Ergebnis sein. Und da hätten natürlich letztendlich die großen Provider mit eigenen Netzen oder mit anderen Konditionen und möglicherweise wirtschaftlichen Zusammenschlüssen dann einen Vorteil. Wer über das Netz bestimmt, hat das Sagen.

Was will der Bürger?

Wollen wir das? Sofern man nicht Mitarbeiter eines solchen großen Medienunternehmens ist und nicht nach dem Motto  „Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe“ urteilt, wahrscheinlich nicht. Ich jedenfalls möchte das eigentlich nicht. Aber gilt das in der Sache wirklich auch für den Bürger. Ist es den meisten nicht ziemlich egal, wo er seine seine Videos on Demand bekommt. Er will einen einfachen Zugriff, er möchte das, wann immer er immer er Lust darauf hat, er möchte sie in guter Qualität und dazu noch preiswert. Wie das erreicht werden kann ist ihm ziemlich egal, und das ist im Prinzip auch sehr verständlich. Aber er will natürlich auch die Vielzahl der Internet-Anbieter und Angebote beibehalten – kurzum, er will alles. Nur wie?

Was würde Goethe sagen?

„Nach Bandbreite drängt, an der Bandbreite hängt doch alles“, würde Goethe heute wohl in seinem „Faust“ formulieren. Denn wirklich lösen kann man das Problem eigentlich nur durch Zurverfügungstellung von mehr Bandbreite und schnellen Verbindungen. So viel wie nur irgendwie erreichbar. Aber Deutschland liegt was den Ausbau der Netze anbelangt im europäischen Mittelfeld, es sind enorme Investitionen nötig und man braucht Zeit dafür. Und genau das sind die Knackpunkte, die sich eben nicht so schnell ändern lassen.

Was tun?

Was also tun? Sicherlich das Netz ausbauen, da besteht bei allen Fachleuten Konsens. Aber man will jetzt loslegen, die Medienunternehmen wollen lieber heute als morgen ihr Angebot an den Mann bringen. Das bringt im Übrigen natürlich auch Investitionen verschiedenster Art, sicherlich auch Arbeitsplätze. Also sind Bestimmungen nötig, die die Netze und den Netzverkehr regeln.  Wirkliche Netzneutralität kann nur erreicht werden, wenn ausreichend Bandbreite vorhanden ist, besser sogar mehr als wir brauchen. Dann kann im Grunde genommen jeder übertragen, was er will. Ob es jemand kauft bzw. haben will ist eine Frage der Preisgestaltung und unterliegt dem wirtschaftlichem Risiko des Anbieters. Doch ob dieser Zustand wirklich jemals erreicht werden wird, das vermag heute keiner zu sagen und mit Sicherheit nicht, wann sich das erreichen ließe. Neue Anwendungen, wie das Internet der Dinge, stehen vor der Tür, die zwar nur wenig Bandbreite brauchen aber durch ihre gigantische Durchdringung des alltäglichen Lebens bestimmt nicht vernachlässigbar sein werden.

Regelungen sind erforderlich

Es sind also Regelungen nötig. Die amerikanische FCC soll in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Einschränkungen und Regeln aufgestellt haben, die in einem 99-Seiten-Dokument beschrieben sind, das aber bislang nicht frei zugänglich ist. Es kommt darauf an, einen Kompromiss zu finden, das einerseits die Medienunternehmen in die Lage versetzt, ihre Angebote in sicherer, guter Qualität offerieren zu können aber andererseits keine monopolartigen Durchsetzbarkeiten ermöglicht. Ideen sind gefragt. Die Einführung von verbindlichen Mindestdatenraten und Bandbreiten für alle und deren Überprüfung für jeden Anwender wäre beispielsweise eine Idee. Aber das allein ist ganz bestimmt nicht ausreichend.

Mit einer kategorischen Ablehnung solcher Regelungen hingegen und  Bezug auf vollkommene Netzneutralität kommen wir meines Erachtens nicht weiter. Im Gegenteil, ein Kompromiss muss her, um genau dieses vielseitige Instrument „Internet“ vor rein wirtschaftlich interessengesteuerten Angriffen zu schützen und sicherzustellen, dass für den Verbraucher Mindestgrenzen vorhanden sind, die nicht unterschritten werden dürfen.


Was meinen Sie?

Ich wäre sehr daran interessiert hier auch weiterführende Ideen und Meinungen von anderen nachträglich publizieren zu können. Nutzen Sie hierzu die Kommentarfunktion unten oder schreiben Sie mir persönlich unter bolewski@fktg.org . Wenn Sie möchten, können Sie ausserdem an unserer Umfrage zum Thema "Netzneutralität" teilnehmen, und   zwar hier >>  !