„Experience is key“

Stephan Heimbecher, SWR

Nachklapp zum EBU Production Technology Seminar 2023
 mit Stephan Heimbecher, SWR, Chairman des EBU Strategic Programme Digital Media Production


Das EBU PTS 2023 hat ja nach zwei Jahren erstmals wieder schwerpunktmäßig als Präsenzveranstaltung stattgefunden.
Ja genau, wir haben erstmals wieder drei Tage Programm fast wie vor der Pandemie gehabt, d.h. schwerpunktmäßig vor Ort in Genf. Lediglich unsere Workshops, die beliebten Technology Briefings, gab es in diesem Jahr noch nicht wieder, ansonsten war alles dabei, von praktischen Demonstrationen wie einem Spatial Reality Display bis hin zu zwei Abendveranstaltungen. 

Mich hat die große Resonanz wirklich begeistert. Wir waren knapp 150 Teilnehmende vor Ort, über 80 waren online dabei. So konnte auch das Networking, für das die Veranstaltung ja steht, endlich wieder persönlich stattfinden. 

In den beiden Jahren mit reinen Online-Seminaren hatten wir zwar auch immer sehr großen Zuspruch, rund 500 Anmeldungen waren es im Durchschnitt, aber es ist doch etwas ganz anderes drei Tage intensiv gemeinsam an einem Ort zu verbringen und sich mit den Themen im direkten Gespräch auseinanderzusetzen. 

Wir hatten so viele gute Vortragseinreichungen, dass wir am zweiten Tag sogar zwei parallellaufende Programmteile anbieten mussten – wir wollten keinen guten Vortrag absagen müssen.

Ein persönliches Highlight der dreitägigen Veranstaltung?
Mein persönliches Highlight war sicherlich das Thema Virtual Production. Hier hat sich in den letzten Jahren nicht zuletzt durch Game Engines wie Unreal von EPIC sehr viel getan. Es ist schon eine sehr positive Entwicklung, wenn für einen Dreh nicht mehr 150 Leute nach New York oder Tokio fliegen müssen, sondern viel im Studio gemacht werden kann.

Das spart nicht nur Geld und ist besser für das Klima, sondern es werden dann auch zu jeder Zeit ideale Bedingungen geschaffen, die ich für meinen Dreh benötige. Dann ist zum Beispiel die Magic Hour am Abend nicht nur vier oder fünf Minuten lang, sondern im Studio den ganzen Tag.

Virtual Production: Ideale Bedingungen für den Dreh schaffen


Wenn man sich beispielsweise die Produktion der Netflix-Serie „1899“ ansieht, dann ist man wirklich erstaunt über die Qualität der Produktion. Es ist eine ganz neue Welt entstanden. Dadurch verschieben sich die Workflows in der Produktion und es wird insgesamt viel mehr Wert auf die Pre-Visualisierung gelegt. Und auch für die Schauspielenden vor der Kamera ist es deutlich angenehmer, wenn sie nicht vor einem Green Screen stehen, sondern tatsächlich sofort sehen, in welcher Umgebung sie sich befinden.

Die Themen, u. a. KI, Web3, Gamification, waren ja sehr auf Zukunftstrends ausgelegt.
Das Motto der Veranstaltung war ja auch „Experience is key“, und da ist viel Wahres dran: Man muss diese Dinge selbst erleben, um sich einen Eindruck verschaffen und auch entscheiden zu können, welches Thema man als Broadcaster vorantreiben sollte. Denn ganz klar ist, bei der Vielzahl an Themen wird man nicht jeden Trend mit gleicher Intensität verfolgen können. 

Das Thema Künstliche Intelligenz war aufgrund der aktuellen Entwicklungen auch sehr viel präsenter als tatsächlich im Programm vorgesehen. Aber auch hier muss man realistisch sein. Denn die KI-Modelle setzen im Moment ja lediglich bekannte Daten neu zusammen, sind also eine reine Datenanalyse. „Intelligence“ hat im Englischen ja auch die simple Bedeutung „Information“. Ich habe einmal bei einer Session aus Spaß eine von Chat GPT erzeugte Moderation eingebaut - das Ergebnis war in Ordnung und hat mir vielleicht zehn Minuten Zeit erspart, aber es war inhaltlich auch nichts Besonderes und kreativ schon gar nicht.

Das Thema KI ist aus meiner Sicht dennoch nicht zu vernachlässigen, da es die wenig beliebten Routinejobs übernehmen könnte. Eine KI kann beispielsweise ein Nachrichtenformat wie den Blaulicht-Report zusammenschneiden, da hier immer wieder im gleichen Stil berichtet wird. Somit kann sich der Cutter oder die Cutterin kreativeren Aufgaben widmen.

Gezeigt wurde ja unter anderem auch Immersive Opera am Beispiel der Oper Chemnitz. Beim Festival in Bayreuth ist in diesem Jahr ebenfalls eine VR-Premiere geplant. Erreicht man damit das doch eher konservative Opernpublikum? Gibt es Erfahrungswerte?

Klar ist, wir müssen aus unserer Gewohnheit in gewisser Weise ausbrechen. Daher finde ich es immer gut, wenn man über den Tellerrand sieht. Bei dem gezeigten Projekt der Oper Chemnitz ist etwa das ZDF als Partner mit dabei.

Mo., 06.02.2023 - 10:51

Brücke zwischen alter und neuer Welt des Entertainments


Immersive Opera ist sicher ein Nischenthema, das viele gar nicht so auf dem Schirm haben. Aber es schlägt durchaus eine Brücke von der alten in die neue Welt des Immersiven Entertainments und ist allein dadurch relevant. Natürlich bleibt es Geschmackssache und hängt davon ab, wie visionär und offen man für neue Dinge ist.

Das gleiche gilt auch für Web3 und Metaverse oder auch NFTs. Die Zukunft wird zeigen, ob der große Hype für diese Themen der Wirklichkeit standhält und ob sie das Publikum annimmt. Natürlich wurde hier von einigen großen Unternehmen viel Geld investiert, aber das ist ja nicht automatisch ein Garant für Erfolg. Dies sind alles Bereiche, mit denen wir das jüngere Publikum besser erreichen können, aber erzwingen lässt sich das dennoch nicht. 

Was bedeuten diese neuen Themen für die Entwicklung von Standards?
Hier hat sich die Arbeitsweise stark verändert. Früher wurde noch mehr geforscht und sich an Marktanforderungen orientiert. Daraus entstanden dann Standards und schließlich technische Innovationen.

Heute findet das Thema Forschung und Entwicklung nur noch sehr eingeschränkt statt. Stattdessen bekommt man fertige Lösungen meist mehrerer Hersteller präsentiert, die sich häufig gar nicht an Marktanforderungen orientieren. Das macht es für die Arbeitsgruppen, die sich mit der Standardisierung beschäftigen, nicht einfacher. Der Prozess hat sich umgekehrt. Das hat der Vortrag „The truth about standards“ von Rowan de Pomerai (DPP) sehr treffend beschrieben.

Und für das nächste PTS 2024?
Wir werden nach den Erkenntnissen in diesem Jahr das Programm vielleicht noch einmal etwas umgestalten und mit dem Format spielen, damit „schwer verdauliche“ Themen nicht unbedingt der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne am dritten Tag zum Opfer fallen. Auch eine parallele Aufteilung der Vorträge wird es so vermutlich nicht noch einmal geben. Aber auf jeden Fall haben wir uns vorgenommen, noch einmal besser zu werden.

-AB
Bild: Stephan Heimbecher (SWR)