Michael Eberhard, Direktor Technik und Produktion des SWR, über die Technik als Möglichmacher und die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien.
Sie waren kürzlich Teilnehmer des Panels „The architects of European Public Service Media and Eurovision“ auf der IBC. Könnten Sie uns in einigen Sätzen die Zielsetzung des Panels beschreiben?
Die Zielsetzung war es, gemeinsam darüber zu diskutieren, wie sich die öffentlich-rechtlichen Medien für die Zukunft aufstellen können und vor allem, was die Technologie dabei leisten kann.
Unser Alleinstellungsmerkmal bei den öffentlich-rechtlichen Medienhäusern ist die Live-Produktion – das eint uns alle, unabhängig von der Nationalität. Da sehe ich großes Potential für die Zukunft, nationale und internationale Kooperationen noch besser zu nutzen und uns insgesamt weiterzuentwickeln.
Die technischen Direktionen der ARD sehe ich hierbei als Möglichmacher – als Enabler. Wir müssen gemeinsam und auf Augenhöhe die Kraft aufbringen, um technologische Innovationen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk voranzutreiben. Die Interessen für die eigene Landesrundfunkanstalt dürfen dabei auch mal hintenanstehen.
Sie haben in der Diskussion vor allem zur Schnelligkeit bei der Umsetzung digitaler Strategien gemahnt. Wie gehen Sie technische Innovationsprojekte innerhalb der ARD an, gerade auch vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen?
Wir arbeiten derzeit an einer Neuorganisation der PTKO-Struktur (Produktions- und Technik-Kommission, hier treffen sich die technischen Direktionen der ARD, DW, des DLR und des ZDF). Es wurden insgesamt fünf Netzwerke sowie inhaltlich zugeordnete Kompetenzzentren entwickelt.
Wichtig bei allem ist der Netzwerkgedanke: Wie vernetzen wir die Experten der verschiedenen Häuser und wie organisieren wir den Wissenstransfer über diese Netzwerke und Kompetenzzentren? An Expertise mangelt es uns innerhalb der Sendergruppe nicht. Ein Kernpunkt ist, dass diese Kompetenzzentren an Themen arbeiten, die für uns morgen und übermorgen wichtig sind – und zwar gemeinsam als Gruppe, ohne Partikularinteressen der regionalen Partner. Wir müssen dabei die Weichen für die Zukunft stellen.
Digitalisierung heißt auch Transformation. Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden bei dieser Transformation im SWR mit?
Das ist ein schwieriger Prozess. Wir müssen schauen, wie wir unsere bisherigen Zuschauer bestmöglich bedienen und gleichzeitig die zukünftigen Generationen für unser Programm begeistern können. Daher versuchen wir, die linearen Formate schlanker zu produzieren, um Mitarbeitende freizubekommen, die sich mit neuen Produktionsformen und Verbreitungswegen befassen. Denn wir bekommen für die neuen Aufgaben nicht mehr Personal.
Wir haben beim SWR den Weg in die Zukunft schon eingeläutet. Wir mussten dazu einige harte Entscheidungen treffen. Zum Beispiel haben wir entschieden die Werkstätten zu schließen, um dafür in neue LED-Studioumgebungen zu investieren, was keinen Dekorationsbau mehr erfordert. Gleichzeitig werden beispielsweise Berufe rund um die App-Entwicklung, IT-Security oder auch Motion-Grafik immer wichtiger.
Kommunikation ist dabei der wichtigste Faktor. Wir wollen für jede:n Einzelne:n eine Perspektive zu finden. So führen wir unter dem Einsatz sog. „Change-Agents“ und einem breit aufgestellten Transformations-Projektbüro derzeit Perspektivgespräche mit allen Mitarbeitenden.
Sie haben es gerade schon gesagt, der SWR probiert sehr viel Neues aus - sowohl im SWR X Lab mit Games und neuen Apps als auch im Bereich der Remote-Produktion. Wie werden diese Neuentwicklungen beim Publikum wahrgenommen bzw. werden diese Veränderungen überhaupt bemerkt?
Dazu braucht es noch Zeit, gerade auf technischer Seite ist die Kommunikation nach außen noch ausbaufähig. Wir vermarkten uns da noch nicht immer optimal.
Ziel könnte sein, künftig viel mehr „Whitelabeling” zu betreiben. Also die Entwicklung neuer Produkte, wie etwa Apps und Spiele, die für alle in der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. So können Doppelstrukturen vermieden und erfolgreiche Produkte schneller von jedem genutzt werden.
Ein gutes Beispiel ist das „Tatort“-Game, das wir kürzlich vorgestellt haben. Der „Tatort“ ist eine erfolgreiche Marke, sowohl linear als auch in der Mediathek – warum also nicht ein „Tatort“-Onlinespiel als Ergänzung? Die Idee dabei ist, dass die Teilnehmenden in die Rolle von Ermittler:innen schlüpfen und einen "Tatort"-Fall in ihrer Stadt lösen können. Via Messengerdienst auf dem Smartphone halten sie Kontakt zu den Tatort-Kommissaren und bekommen von ihnen Sprachnachrichten, Bilder und Videos geschickt.
Stichwort: Talentförderung. Mit der Digitalisierung ist längst auch ein Kampf um die besten Fachkräfte entbrannt. Wie stellen Sie innerhalb der ARD / beim SWR sicher, gute Köpfe zu gewinnen bzw. zu halten und zu fördern?
Wir haben gerade schon die Kompetenzzentren auf ARD-Ebene erwähnt, in denen wir an Zukunftsthemen arbeiten. Zudem versuchen wir, Mitarbeitenden zeitlich Freiräume zu verschaffen, um sie für die Entwicklung neuer Produkte einzusetzen.
In der Ausbildung geht es mehr dahin, dass wir bedarfsgerecht ausbilden, etwa bei der Ausbildung zum/zur Mediengestalter:in oder im Bereich IT.
Für neue Themen treten wir zudem auch an Hochschulabsolventen heran. Wir haben sehr gute Kontakte zu den Hochschulen in unserer Umgebung und wollen bestimmte Themen künftig in Kooperation mit den Hochschulen weiterentwickeln.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Diskussion war die Migration in die Cloud und die Weiterentwicklung einer europäischen Cloud-Infrastruktur (Gaia X-Projekt). Wie bewerten Sie die Fortschritte hier, geht es „schnell genug“, um mit den großen Cloud-Plattformen aus den USA mithalten zu können?
Natürlich sind die USA uns in punkto „Cloud“ weit voraus, daran ist nichts zu ändern. Dennoch darf uns das nicht daran hindern, eigene Ziele in Europa zu verfolgen. „Gaia X“ ist ein sehr mächtiges Projekt und bedient ein sehr breites Spektrum mit vielen verschiedenen Themen.
Ich denke, speziell für den Medienbereich müssen wir versuchen, selbstständig laufen zu lernen und müssen mehr Tempo bei der Digitalisierung machen. Projekte werden künftig nicht mehr 15 Jahre oder länger laufen, sondern werden viel kürzere Planungs- und Umsetzungsphasen haben und die Projektstrukturen werden agiler sein.
Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema Cloud, sowohl als Public Cloud oder als On-Prem-Lösung. Das Thema hat auch Auswirkungen auf unsere Haushaltsplanung. So verlagern sich künftig Aufwands- und Invest-Kosten (CapEx / OpEx), wenn mehr in Cloud-Modellen abgebildet wird.
Wie bewerten Sie die übergreifende Zusammenarbeit in der EBU, wenn es um den Einsatz und die weitere Entwicklung von technologischen Innovationen geht? Wo könnte die übergreifende Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern noch verbessert werden?
Wenn wir uns in den verschiedenen Projektgruppen der EBU treffen, ist es immer ein sehr guter Austausch. Aber es geht manchmal zu sehr um das Tagesgeschäft, zu wenig um Strategie und zukünftige Entwicklung. Auch müssen wir es schaffen, dass die einzelnen Gruppen mehr miteinander kommunizieren – ich meine hier vor allem die Programmschaffenden und die Technik. Wenn es uns besser gelingt, nicht nebeneinander, sondern miteinander zu laufen, mehr zu kooperieren und gemeinsame Projekte und Visionen zu verwirklichen, dann sehe für die Zukunft sehr gute Möglichkeiten.
Erste Initiativen laufen ja bereits und ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Kräfte gemeinsam in die richtige Richtung bewegen.
Annsofi Eriksson von Swedish Radio sprach auf dem IBC-Panel davon, dass Konkurrenz das Geschäft belebt. Gilt das auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland? Wie erleben Sie die aktuellen Diskussionen rund um eine mögliche Zusammenlegung von ARD und ZDF?
Eine Zusammenlegung von ARD und ZDF ist für uns derzeit kein Thema. Wir werden aber weiterhin in die Zusammenarbeit intensivieren und stets versuchen, Synergien zu finden. Im Moment durchleben wir eine schwierige Phase und der Druck auf die öffentlich-rechtlichen in Deutschland, aber auch in ganz Europa ist groß. Wir benötigen für die digitale Erneuerung natürlich entsprechende Mittel. Eine auskömmliche Finanzierung wäre dafür eine Grundvoraussetzung.
Durch den gezielten Einsatz neuer Technologien, versuchen wir bereits heute möglichst ressourcenschonend im Linearen zu arbeiten und dabei unser digitales Portfolio schrittweise zu erweitern. Dabei wird auch die Zusammenarbeit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auf eine ganz neue Basis gestellt. Sprich: Mehr Kooperationen mit den einzelnen Partnern in Deutschland, aber auch mit benachbarten Ländern der Eurovisions-Familie.
Wir sind innerhalb der ARD bereits auf einem guten Weg, haben unsere Kompetenzen zum Beispiel in der Technik gebündelt und bestimmte Kernthemen definiert. Es findet ein enormer Transfer statt. So ist mit der „Sendeabwicklung Süd“, die wir komplett neu und softwarebasiert aufgebaut haben, eine erfolgreiche Kooperation bereits umgesetzt. Hier werden die Dritten Programme des SWR, SR, HR und BR sowie den Spartenkanal ARD alpha gemeinsam in Baden-Baden abgewickelt. Gleiches wird mit der „Sendeabwicklung Nord/Ost“ beim MDR und der „Sendeabwicklung West“ beim WDR passieren.
Ein großes Kooperationsfeld mit dem ZDF sind Sportgroßereignisse, wie bei der kommenden Fußball-WM. Hier entsteht ein gemeinsames NBC (National Broadcast Center) auf dem Lerchenberg, aus dem wir im Wechsel für ARD und ZDF senden werden.
Sie werden auch einen Vortrag auf der FKTG Fachtagung halten. Auf was dürfen sich die Teilnehmenden freuen?
Wir bewegen uns gerade in spannenden Zeiten. Zwar sind wir alle etwas getrieben von schwindenden Ressourcen, aber das Ziel ist ganz klar: Das Publikum zu erreichen und relevant zu bleiben.
Ich möchte in meinem Vortrag ein persönliches Gedankenexperiment vorstellen und einen Blick in die Zukunft wagen: Wenn also die Digitalisierung endlich weiter voranschreitet und in zehn Jahren 80 Prozent aller Menschen in Deutschland über einen Glasfaseranschluss verfügen – was heißt das für das Nutzungsverhalten, für die Produktion, die Distribution sowie für die zielgerichtete Entwicklung neuer digitaler Produkte?
Ich denke, die Mediennutzung und damit die Herstellungsverfahren werden sich weiterhin verändern und entwickeln. Es bleibt eine Herausforderung, die sehr spannend ist und die wir als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sehr gerne annehmen.
-AB
Bild: Michael Eberhard (Quelle: SWR)