"Vom Fahrer zum Zuschauer - Mediennutzung in Zeiten autonomer Fahrzeuge"

Der Veranstaltungsort - die Audi City Berlin. Wer hier an ein Autohaus denkt, sieht sich getäuscht. Vielmehr handelt es sich hier um einen multimedialen Erlebnisraum, der Gegenwart und Zukunft des Autos erfahrbar macht. Beim Betreten der Räume erblickt man daher mehrere deckenhohe Videowalls, die eher an  ein Fernsehstudio erinnern. Natürlich kann man hier auch Leder- und Stoffmuster an der Wand erfühlen, aber genauso gut sein Wunschauto mit der virtuellen Brille aus verschiedenen Perspektiven betrachten oder das Cockpit der Zukunft ersehen und betasten.

Die Veranstaltung  war gegliedert in zwei Teile, einen Vortragsteil am Vormittag und einen Workshopteil am Nachmittag.

Der Vorstandsvorsitzender der Deutschen TV Platform Andre Prahl begrüßte die Teilnehmer und erläuterte den Hintergrund der Veranstaltung. Seit Mai 2017 ist das Straßenverkehrsgesetz geändert und erlaubt selbstfahrende Fahrzeuge auf deutschen Straßen. Wenn man dies perspektivisch weiterdenkt, bedeutet dies in Zukunft, dass der Fahrer nicht mehr selbst fahren muss, sondern zum Beispiel die Zeit für die Fahrt zur Arbeit für andere Tätigkeiten nutzen kann. Beliebte Freizeitbeschäftigungen wie Medienkonsum, Social Media oder Internetnutzung könnten in Zukunft also hier stattfinden. Daher macht es Sinn frühzeitig die Automobilwelt und die Medienwelt zusammenzubringen. Mit der Media Innovation Platform hat die Deutsche TV Platform ein Podium geschaffen, um sich über solche Themen auszutauschen. Norbert Barthle vom Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur wies auch gleich darauf hin, dass mit der Änderung des Straßenverkehrsgesetz erstmalig Rechtssicherheit geschaffen wurde, um selbstfahrende Fahrzeuge in Deutschland zu ermöglichen und die Haftungsfrage zu klären. Gleichzeitig verwies er auf die Pläne zur stattfindenden Entwicklung des 5G Mobilfunkes, das größere Bandbreiten zur Nutzung verspricht. Nils Wollny von Audi zeigte auf, welche Vorteile das autonome Fahren bietet. Neben der durchschnittlich 1h am Tag freiwerdenden Zeit sind dies erhöhte Sicherheit, erhöhter Komfort, höhere Effizienz oder auch mehr Spaß. Das Fahrzeug wäre auch als Erlebniscenter denkbar. Neben VR, AR , MR auf den Scheiben des Fahrzeuges wurde der Begriff Augmented Hyperreality geprägt, der nicht nur Bild und Ton, sondern auch andere Sinne anspricht. Als Beispiel zeigte er einen Demofilm, das ihn selbst in einem selbstfahrenden Auto auf einer Rennstrecke beobachtete, das ähnliche Emotionen wie bei einer Achterbahnfahrt weckt. Zum Abschluss des Vormittags präsentierte Steffen Braun vom Fraunhofer IAO noch Untersuchungen, welche Vorteile das autonome Fahrzeug zum Wohnzimmer zuhause bringen kann und so zum rollenden zweiten Wohnzimmer wird.


Siehe auch Download-Link: TV Zukunft spezial PDF, 8 Seiten)
"Mediennutzung beim Autonomen Fahren"


Am Nachmittag fanden drei Workshops parallel statt, wobei jeder Teilnehmer aufgrund der Zeit nur zwei Durchläufe besuchen konnte. Allerdings gab es am Ende ein Wrap-Up, bei dem nochmal über alle Workshops berichtet wurde. Im ersten Workshop – Fernlicht wurden Formate, Techniken und Angebote der Zukunft diskutiert. Hier spielte die Frage eine Rolle, wie die Hardware des Autos in Zukunft aussieht. Ist das Auto nur noch ein weiteres Display zum Ankoppeln des Smartphones oder gibt es neue immersive Möglichkeiten, die sogar mehr bieten als Zuhause? Generell wurde festgestellt, dass das Smartphone zur Personalisierung im Fahrzeug eine immer größere Rolle spielen wird, sei es um eigenen Content bereitzustellen oder das Fahrzeug individuell an seine Bedürfnisse anzupassen.  Zukünftige Möglichkeiten sind auch contextabhängige Mediennutzungen, wie Einblendungen in reale Umgebungen oder eine Fahrt durch das Berlin des 15.Jahrhunderts, während man vor Ort ist. Weitere Begriffe waren hier  Cocooning oder experiencing, d.h. das Fahrzeug wird zu einer eigenen neuen Welt. Einig war man sich nicht, ob die Anzahl der Betriebssysteme oder zu implementierenden Schnittstellen begrenzt sein sollte oder ob dies ein Differenzierungsmerkmal für die Autohersteller sein könnte. Allerdings ist klar, dass man an den Digital Giants wie Amazon, Google oder Apple auch im Auto nicht vorbeikommt. Im zweiten Workshop - Zubringer wurden die Anforderungen an die Infrastruktur zur Mediennutzung thematisiert. Frau Pieh von der Autonomous Intelligent Driving GmbH stellte die unterschiedlichen Level vom manuellen Fahren über das assistierte Fahren zum pilotierten/automatisierten Fahren bis hin zum autonomen Fahren vor. Beim pilotierten Fahren übernimmt das Fahrzeug vollständig die Kontrolle und es gibt technische Rückfallsysteme, allerdings muss der Fahrer in der Lage sein nach spätestens 10s das Fahren zu übernehmen. Durch das pilotierte Fahren  entsteht erstmalig die Möglichkeit Medien zu nutzen, wie Email lesen oder Social Media, aber erst durch autonomes Fahren ist der Fahrer vollkommen freigestellt von der Führung des Fahrzeugs. D.h. solche Fahrzeuge besitzen dann wahrscheinlich auch keine Eingriffsmöglichkeiten mehr und könnten wie Loungen gestaltet werden. Da 95% der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, könnte es sein, dass zukünftige Generationen gar nicht mehr die Erlaubnis erhalten, ein Fahrzeug manuell zu steuern oder es evtl. auch gar nicht mehr können. Die nächste Stufe ist aber zunächst das pilotierte Fahren, vom autonomen Fahren ist man noch weit entfernt. Prof. Reimers dämpfte die Erwartungen der Zuhörer, dass unbegrenzter Online-Zugriff zur Mediennutzung möglich ist und stellte wie er selbst sagte eine „Milchmädchenrechnung“ vor, wieviel Bandbreite heute bei LTE für das einzelne Fahrzeug auf einer vollbesetzten dreispurigen Autobahn zur Verfügung stehen könnte. Dies lag bei 100-300 kBit/s. Und auch bei 5G würde sich dies nicht signifikant verbessern. Allerdings wurde in der folgenden Diskussion auch angemerkt, dass nicht zu erwarten ist, dass alle Fahrzeuge gleichzeitig Video-Streaming nutzen würden. Und auch andere Varianten wie Impulsbetanken mit Daten über Terahertzsender wurden erwähnt. Matthias Schmitt von Here legte die Anforderungen zum Datenaustausch für Karten und autonomes Fahren dar. Gerade hier spielt aus Sicherheitsgründen auch die Latenz der Kommunikation eine große Rolle, die erst mit 5G oder speziellen Kommunikationskanälen möglich ist. Im dritten Workshop – Überholspur ging man auf das Wettbewerbsumfeld ein. Wer kontrolliert das Cockpit der Zukunft? Es ist klar, das sich die Wertschöpfung wie bei vielen digitalen Transformationsprozessen verändert. Das Fahrzeug kann zum Beispiel auch viel stärker für Carsharing genutzt werden. Der Wert eines Fahrzeuges wird evtl. über die bereitgestellten Services definiert. Es wird ein Wettbewerb um die Zeit der Kunden entbrennen, wenn weltweit 400Mrd. Stunden pro Jahr für andere Nutzung frei werden. Wer wird der Gatekeeper der Zukunft für die digitalen Daten sein? Die Software-Integration wird zum Schlüssel des Erfolgs werden.

Der Tag hat definitiv Sehnsüchte geweckt, wie ein entspanntes und unterhaltsames Reisen in Zukunft aussehen kann, es hat aber auch aufgezeigt, dass es noch ein langer Weg bis dahin sein wird. Den Kontrast dazu erlebte ich gleich auf der Rückreise, als der Flieger wegen des schlechten Wetters zwei Stunden Verspätung hatte. Jeder der das Terminal D in Berlin bei Überfüllung kennt, weiß was das heißt.

Dr. Siegfried Foessel