IBC 2023: EDCF-Seminar zur Kinotechnik

EDCF IBC 2023 Content Overview

Teil 2 des IBC-Rückblicks mit aktuellen Brancheneinblicken und Technik-Trends für die große Leinwand.


Unter dem bekannten Motto „Cinema is looking forward to a changing future“ ging das Kinotechnikseminar des EDCF im Rahmen der IBC 2023 in eine neue Runde. Durch die Veranstaltung führte Julian Pinn, 2. Vorsitzender des EDCF.

Cathy Huis in’t Veld-Esser , 1. Vorsitzende des EDCF, betonte in ihrer Begrüßung, das EDCF habe sich als „verlässliche Brücke nach Hollywood“ etabliert. Man wolle künftig noch mehr mit anderen Interessensgruppen arbeiten, um die Rolle als Wegbereiter der Branche noch weiter zu festigen.

Wie hat sich die Kinobranche nach der Pandemie weiterentwickelt? Dazu gab es aktuelle Zahlen von David Hancock, Omdia. Er sah eine Erholung der Branche, die jedoch in Teilen sehr langsam verliefe. Noch habe man nicht wieder ein Niveau wie vor der Pandemie erreicht. Es werde also insgesamt noch dauern, bis man wieder zu alter Stärke zurückgefunden habe.

Zwar stand der Trend für 2023 stand bislang auf Wachstum: Es werden Einspielergebnisse von 33 Millarden US-Dollar prognostiziert. Jedoch setzt der Streik der Drehbuchautoren und Schauspieler den Hollywood-Studios sehr zu und es steht zu befürchten, dass eine Fortsetzung des Arbeitskampfes empfindliche Auswirkungen auf die Branchenentwicklung hat, die sich dann im nächsten Jahr niederschlagen dürfte.

Eine weitere besorgniserregende Entwicklung betrifft die langsam wachsende Anzahl der Kinosäle. Hancock betonte, wie wesentlich es sei, eine gesunde Basis an modernen Kinos zu haben, wenn man neue Besucher erreichen möchte.

Doch trotz aller Hindernisse sieht Hancock keine Bedrohung der Branche an sich: „Kino hat eine weltweite Relevanz, die andere Unterhaltungsangebote nicht haben“.

Die vorhin angeführte Rolle des EDCF als Wegbereiter der Kinobranche untermauerte  Cathy Huis in’t Veld-Esser mit ihrem Bericht vom EDCF Problem Resolution Round Table, der im Juni auf der Cine Europe in Barcelona bereits zum vierten Mal stattfand. Er zielt darauf ab, gängige technische Herausforderungen im praktischen Kinobetrieb zu benennen und mögliche Lösungsansätze zu formulieren.

Eines der drängendsten Probleme ist auch im Kino der Fachkräftemangel. Denn durch die technische Weiterentwicklung ist ein tieferes IT-Fachwissen gefordert, welches das kinospezifische Wissen ergänzt. Ein „Gesamtpaket“, das nicht viele von Haus aus mitbringen. Die Pandemie hat die Branche weiter ausgehöhlt, da qualifizierte Mitarbeiter in andere Branchen abgewandert sind. Kino habe eben nicht mehr den „Coolness-Faktor“ wie früher, junge Nachwuchskräfte ziehe es in andere Branchen. Man müsse daher einiges tun, um neue Mitarbeiter zu gewinnen bzw. zu halten, so Huis in’t Veld-Esser.

Weitere Herausforderungen liegen in nicht funktionierender Technik, der Cyber-Sicherheit und der Entsorgung von Altgeräten. Bei alternativem Content, etwa bei Live-Events, sind technische Probleme beim Ton häufig. Diese liegen darin begründet, dass die Tonmischung speziell für den Broadcast erstellt wurde. Hier könnten in Zusammenarbeit mit der Event Cinema Association Empfehlungen speziell für das Kino erarbeitet werden und so Abhilfe schaffen.

Auch bei den weiteren Herausforderungen, speziell zur Behebung des Fachkräftemangels, ist eine übergreifende Kooperation aller Branchenakteure -Verbände, Verleiher, Kinobetreiber und Hersteller- nötig, um ein übergreifendes Bewusstsein zu schaffen und neue Impulse zu geben. Hier liege gerade die Stärke des EDCF, das als verbindendes Element bei der Lösung dieser komplexen Herausforderungen agieren könne. Huis in’t Veld-Esser lud dazu ein, aktiv mitzuwirken: „EDCF ist ein Forum, Fragen und Anregungen sind immer willkommen.“

Eines der beherrschenden technischen Themen der letzten Jahre war sicherlich die Umrüstung der Kinos auf Laserprojektion. Die ersten laserbasierten Projektoren wurden 2014 vorgestellt. Laut Tom Bert, Barco, sind Stand heute bereits rund 95 Prozent aller gelieferten Geräte weltweit Laserprojektoren. Mehr als 30 Prozent aller Kinos sind aktuell schon umgerüstet. Er erwartet, dass eine flächendeckenden Ausstattung mit Laser nur noch eine Frage der Zeit ist.

Doch während die Kinobetreiber und auch einige wohlhabende Privatleute für ihre (Heim-)Kinos auf die Vorzüge des Lasers setzen, ist die Postproduktion noch vollständig lampenbasiert. Das liegt laut Bert vor allem an den unterschiedlichen Anforderungen der beiden Bereiche.

Bessere Bilder: Laser, HDR

Für die Kinos sind die Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership, TCO) über den Lebenszyklus des Projektors von zentraler Bedeutung: Die Laserprojektion ist sehr langlebig und Lampenwechsel fallen weg. In der Postproduktion entscheidet allein die Bildqualität.

Ein weiterer wesentlicher Punkt für den Kinobetrieb ist die Möglichkeit der Automation und Integration in bestehende Workflows. Für die Postproduktion hingegen ist die Flexibilität bei Content und Ausspielformaten entscheidend.

Last but not least sollen Kinos möglichst wartungsfrei laufen. Auch hier hat der Laserprojektor die Nase vorn. Für die qualitätsbewusste Postproduktion liegt das Augenmerk wieder rein auf der Qualität; wie viel Wartungs- und Kalibrierungsaufwand nötig ist, ist zweitrangig.

Doch in drei bis fünf Jahren soll auch die Postproduktion auf Laser umgerüstet haben. Denn auch sie profitieren von den Möglichkeiten der Laserprojektion, etwa, wenn es um HDR-Content geht, der die Kinos erobert.

Mehr zum Thema HDR im Kino erläuterte Berts Kollege Jean-Philippe Jacquemin. Während nahezu alle neu verkauften TV-Endgeräte und auch viele Smartphones HDR-kompatibel seien und die großen Steamingdienste bereits HDR-Content zur Verfügung stellten, kenne das Kino bislang nur Extended Dynamic Range, nämlich Dolby Cinema und Imax.

Doch die Zeiten für HDR im Kino stehen gut. Im April dieses Jahres hat die DCI ihr High Dynamic Range D-Cinema Addendum veröffentlicht. Nun hat der Compliance Test Plan CTP Version 1.4 vom 18. Juli 2023 HDR ebenfalls aufgenommen.

Barco hat die HDR Lightsteering-Technologie entwickelt und auch die LED-Wände des Herstellers können konvertiert werden. Zudem ist das Unternehmen im von der EU-Kommission geförderten Projekt HDR4EU aktiv, gemeinsam mit anderen Herstellern wie ARRI und Filmlight. Das Projekt hat zum Ziel, einen Ende-zu-Ende-HDR-Workflow für das Kino bereitzustellen.

Bereits beim Filmfestival in Cannes hat Barco mit Hilfe seiner Lightsteering-Technologie verschiedene Beispiele von HDR-Content gezeigt. HDR sei laut Jacquemin nicht nur für Action-Filme geeignet, sondern könnte auch mehr Detailtiefe in ruhigere Filme bringen. Die Workflows, von der Akquisition, über die Bearbeitung bis hin zur Ausspielung seien jedenfalls bereit.

Speziell für HDR in der Postproduktion bzw. das Color Grading hat Barco HDR scopes entwickelt. Das Produkt soll voraussichtlich ab 2024 verfügbar sein.

Natürlich durfte das derzeit allgegenwärtige Thema KI auch in diesem Seminar nicht fehlen. Im Vortrag von Philipp Eibl, Fraunhofer IIS ging es um die KI-basierte Generierung von Untertiteln in cloudbasierten Workflows. Dabei werden die Cloud-Dienste via App oder Desktop gesteuert.

KI-basierte Transkription von Videos kann für verschiedene Aufgaben eingesetzt werden, etwa zur Sprechertrennung (speaker diarization) oder zur Übersetzung. Dabei können verschiedene Dienste nach Belieben miteinander kombiniert werden, sodass die jeweils bevorzugten Partner eingesetzt werden können.

Die Vorteile der Cloud-Nutzung für diese Postproduktionsprozesse liegen dabei im Outsourcing von rechenintensiven Prozessen, der Skalierbarkeit und Auslagerung der Wartung. Es ist möglich, mit einer Private oder Public Cloud zu arbeiten und auch die ortsunabhängige Zusammenarbeit wird vereinfacht.

Wie können Kinos vom Streaming-Boom profitieren? Oder können sie sogar Teil einer Streaming-Plattform werden? Dieses Gedankenspiel brachte Oleg Berezin aufs Tablett. Er ging auf die vielen Höhen und Tiefen des kommerziellen Kinos ein. Seit Mitte der 2010-er Jahre sei man aufgrund des sich rasch wandelnden Medienkonsums wieder in einem Abschwung angekommen.Die Kinobetreiber hätten dabei das Problem, dass sie nicht die Inhaber des Contents seien. Kinos würden von letzteren oftmals eher als Objekt, denn als vollwertiges Marktsubjekt genutzt.

Es würde daher im Zuge dieser neuen Voraussetzungen zu einer Marktkonsolidierung auf die eine oder andere Weise kommen. Es bräuchte neue Ideen und neue Geschäftsmodelle, um an Marktmacht zu gewinnen. Für Berezin könnte dies so aussehen, dass ein Kino oder eine Kinokette mit der einen oder anderen Streaming-Plattform verbunden ist.

EDCF IBC 2023 Publikum

Trend Streaming und Nachhaltigkeit

Studios könnten so ein ganzes Ökosystem schaffen (z. B. eigene Kinos, Shops, Parks, VOD-Dienste). Die Kinos würden weiterhin die Inhalte für die große Leinwand (Blockbuster) bereitstellen, aber eine Vielzahl von Instrumenten wie Daten der Kinobesucher, die Werbekraft der Plattformen usw. für Werbung und Customer Engagement nutzen.

Content-Anbieter als Eigentümer der Plattformen würden dann daran interessiert sein, in technische Innovationen und in das Wachstum des Kinogeschäfts zu investieren - denn die Kinos würden für sie wieder zu einem der „Profit-Center“.

Andrew Grosso und Jess Carlin von pickaxe haben einige Learnings für Kinos aus der Pandemie zusammengefasst. Eines der wesentlichen sei, dass die Kinobranche, wie viele andere Branchen auch, selbstverständlich davon ausgehe, dass ihr das Publikum die Treue hält. Doch dies habe sich als falsch herausgestellt, das „Quiet Quitting“ habe längst auch die Medien- und Kinobranche erreicht.

Die Pandemie hat auch die Bereiche Sport und Live-Produktionen verändert. So wurde während der ersten Phase des Lockdowns ohne aktuelle Berichterstattung zum Beispiel Sport-Content vergangener Jahre als „Ersatz“ gestreamt. Aber auch als die Sportveranstaltungen wieder ohne Publikum anliefen, kamen viele Zuschauer nicht wieder - die Einschaltquoten, etwa bei der NBA, hatten sich halbiert. Die Live-Abos für die Finalspiele (rund zehn Millionen vor der Pandemie) gingen auf vier Millionen zurück und sind immer noch nicht auf den alten Stand zurückgekehrt.

Auch Theater und Konzerte haben erhebliche Einbußen erleben müssen. So gingen die Abonnements während der Pandemie um 50 Prozent zurück. Im konkreten Bereich Musical gingen vor der Pandemie rund 17 Prozent in Musicals, nach der Pandemie nur noch 10 Prozent. Die Produktion von größeren regionalen Theatern ging um Durchschnitt um 20 Prozent zurück.

Doch auch beim Streaming ist nicht alles Gold was glänzt. Nach dem Hoch der Streaming-Plattformen ist der Höhepunkt nun seit einigen Jahren erreicht. Es gebe zu viele Angebote, die Menschen seien verwirrt. Die Pandemie habe das Bedürfnis nach Live-Events und persönlichen Begegnungen verstärkt. So stünden die Chancen für das Kino nicht schlecht, auch wenn aktuell rund 17 Prozent aller Amerikaner aus Kostengründen nicht mehr ins Kino gehen.

David Hancock eröffnete im Anschluss den Themenblock Nachhaltigkeit im Kino. Für ihn war die Digitalisierung des Kinos bereits ein erster wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität. Zum Vergleich wurden 2008 noch 1,2 Mio. Meilen (1,93 Mio. Kilometer) Celluloid für die Herstellung von Filmkopien verwendet!

Jedoch steige mit der Anzahl der produzierten Filme auch der CO2-Fußabdruck. Besonders ins Gewicht fallen bei einer durchschnittlichen Produktion etwa der Verkehr (ca. 51 Prozent des CO2, davon 70 Prozent auf den Straßen- und Schienenverkehr und 30 Prozent auf den Flugverkehr), Strom- und Gasverbrauch (34 Prozent gesamt, davon entfallen 30% auf die Produktion) und Dieselgeneratoren (15 Prozent).

Auch im Kino selbst fallen in vielen Bereichen CO2-Emissionen an. Zu den möglichen klimafreundlichen Maßnahmen gehörten der Einsatz eines HVAC-Systems und LED-Beleuchtung sowie die Umrüstung auf Laserprojektion sowie die Umstellung auf papierloses Ticketing oder plastikfreie Becher und Besteck für den Concessions-Bereich.

Im Vortrag von Cedric Lejeune, Holli, ging es darum, wie eine gezielte Nachhaltigkeitsstrategie für Kinos entwickelt werden kann. Er beschrieb zunächst, in welchen drei Bereichen Treibhausgasemissionen im Kinobetrieb entstehen: HVAC-Lecks, Energieverbrauch und indirekt durch Herstellung von Produkten, Nahrungsmitteln, Logistik und Transport. Dieser dritte Bereich mache laut Lejeune zwischen 80 und 95 Prozent der Emissionen eines Unternehmens aus.

Doch um genau zu verstehen, in welchen Bereichen THG-Emissionen anfallen, müssten Kinos sehr viele Daten auswerten, etwa vom Projektionsequipment, TMS, Gebäudemanagement, Kasse, ERP-Systemen, Abos, Rabattkarten und mehr.

Zu den möglichen Maßnahmen könnten dann etwa die automatische Steuerung des Ein-/Ausschaltens und Standby-Betrieb von Geräten auf Grundlage von verkauften Tickets oder die Steuerung des Luftstroms auf Grundlage der Anzahl der gebuchten Plätze gehören. Das Dimmen von Licht oder Preisnachlässe für gemeinsam oder mit ÖPNV anreisende Personen wären weitere Möglichkeiten.

Um das Thema Nachhaltigkeit in Europa und damit verbundene Herausforderungen ging es beim abschließenden Vortrag von Radoslav Markov, Institute of Mathematics and Informatics Bulgarian academy of sciences.

Er erläuterte die Strategie des „europäischen Grünen Deals“, die darauf abzielt, den europäischen Kontinent als ersten klimaneutral zu machen. Eckpfeiler dabei sind eine Senkung des Verbrauchs von Energie und Rohstoffen sowie weniger Abfall.

Auch auf die Verbraucherrechte der EU, hier das Recht auf Reparatur ging er ein. Diese gibt Verbrauchern in Europa über die gesetzliche Garantie hinaus Rechte und Instrumente an die Hand, die eine „Reparatur“ zu einer einfachen und verfügbaren Option zu machen.

-AB