Brauchen wir eine neue Filmnorm?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die bereits vorhandenen oder künftigen technischen qualitativen Verbesserungen beim Film bzw. Filmtheater zu einem Niedergang der Filmindustrie führen. Die unterschiedlichen Diversifikationen, die zu einem Teil nicht mehr Bestandteil der SMPTE-DCI-Norm sind, führen, vor allem aus Hollywood kommend, zu neuen Forderungen, die eine SMPTE-DCI 2.0 wünschenswert erscheinen lassen.


Der Film war immer besser

Zwischen Kino und Fernsehen gab es eigentlich immer schon einen “Kampf “um den Zuschauer. Er wurde meist über verbesserte Systeme ausgetragen, der insbesondere das Filmtheater gegenüber dem Fernseher viele Jahrzehnte interessanter machte. Das war auch einfacher möglich. Es dauerte Jahre, bis das Fernsehen in Bezug auf die Farbigkeit nachziehen konnte. In Deutschland gab es erst ab 1967 die allgemeine Einführung des Farbfernsehens, vorher konnte man nur in die schwarz-weiße Röhre schauen. Und diese Röhre war nach heutigen Maßstäben zumal sehr klein, sodass auch nach Beginn des Farbfernsehens ein deutlicher Unterschied zwischen dem Film- und dem Fernseherlebnis blieb. Das scharfe riesige Leinwandbild brauchte lange die Konkurrenz des gering aufgelösten farbigen Fernsehbildes technisch nicht zu fürchten. Und die zunehmend größer werdenden Bildwände im CinemasCope- und Breitwandformat waren höchst attraktiv.

Mit der Einführung von HD im Fernsehen, man könnte auch sagen mit der Einführung der Digitaltechnik im Fernsehen ganz allgemein, wurde das schon anders. Und der damit technisch einhergehende schier unglaubliche Fortschritt der Displaytechnik, die flachen riesigen Bildschirme im Vergleich zu den Röhrenempfängern,  das reichte und reicht vielen, wenn nicht gar den weitaus meisten Menschen vollkommen aus, und führte - wenngleich auch verbunden mit der Bequemlichkeit des häuslichen Fernsehens und den höheren Kosten des Filmtheaterbesuchs - zu einer weiteren deutlichen Reduzierung des Publikums im Kino.

Die Digitaltechnik divergiert die Möglichkeiten

Die Einführung der Digitaltechnik bei Aufnahme und Wiedergabe auch beim Film führt zwar immer noch zu einer Verbesserung gegenüber dem Fernsehbild, zum Beispiel der 4K-Bildauflösung, einem deutlich verbesserten Bildstand, meist auch  zu höherer Bildwandleuchtdichte, doch fand und findet das beim Publikum nicht mehr die Anerkennung als “deutliche” Verbesserung.

Also versuchte man das, was auch schon früher Erfolg hatte: mit “neuen” Techniken zu glänzen. Doch den 3D-Filmen, die schon vor 50 Jahren für kurze Zeit wie ein Hype mehr Interessenten ins Kino führten, ist aufgrund der Betrachtungsbedingungen, geringerer  Bildwandhelligkeit und anderen Problemen bis zum heutigen Tag kein dauerhafter Erfolg beschieden und wird wohl auch erst kommen, wenn akzeptable autostereoskopische Verfahren entwickelt sind. Und das kann noch lange dauern.

Technischer Gleichstand bei Film und Fernsehen

Das Problem ist, dass mit der digitalen Technik Film und Fernsehen im Grunde genommen im Prinzip technisch vollkommen gleich gezogen haben oder es könnten.  Wiederum lassen sich erst durch die Digitaltechnik Verbesserungen erreichen, die früher gar nicht denkbar waren. 4K ist “im Prinzip” bereits Stand der Technik beim Film, die meisten Kopien werden aus Kostengründen aber in 2K aufgenommen und wiedergegeben, und selbst 4K-Filme werden meist in 2K distribuiert. Aber auch 4k-Fernsehgeräte (UHD) sind auf dem Markt, die Übertragungstechnik wird bisher nur sehr eingeschränkt angewendet, vielleicht auch, weil man gemerkt hat, dass Auflösung allein nicht unbedingt sinnvoll ist aber viel Geld kostet. Die Einführung neuer digitaler, nennen wir sie mal kreativer Techniken, wie HDR (höherer Dynamikbereich), höhere Bildraten (HFR) und immersiver Audiotechniken, vielleicht auch manchmal in Verbindung mit bewegungsgesteuerten Sitzen (4D), können vielleicht das Interesse am Filmtheaterbesuch wieder etwas mehr wecken. Zumindest die besonders attraktive HDR-Technik wird aber auch in sehr naher Zukunft für den Fernsehteilnehmer möglich sein. Theoretisch wären das auch immersive Audiotechniken, allerdings nur in engen Kostengrenzen und in kleineren Räumen mit sehr begrenzter Wirkung im privaten Fernsehbereich.

Für die Filmindustrie wird es härter

HDR verlangt bei den großen Bildwänden lasergesteuerte Projektoren, höhere elektrische Leistungen, es kommen relativ teure Audiosysteme hinzu, und was nicht vergessen werden darf, die Distribution durch diese Diversifikation immer umfangreicher und komplizierter. Ein Teil davon ist gewissermaßen hausgemacht, weil es bei den HDR-Filmen und bei den immersiven Audiosystemen verschiedene Verfahren gibt, die nicht kompatibel sind. Das heißt, dass für das Filmtheater A eine andere Version gebraucht wird wie beim Filmtheater B.

Um ein solches Dilemma bei der Einführung des “Digitalen Films” zu verhindern gab es ja 2005 die Standardisierung, den sogenannten DCI-Standard. Aber der sieht einige der hier angegebenen neuen Verfahren gar nicht vor. Schon heute sei es nicht ungewöhnlich, las ich gerade unlängst in einer amerikanischen Filmzeitschrift, dass bis zu zehn verschiedene Versionen eines Titels erstellt werden müssen (zum  Beispiel in 2D, 3D, unterschiedliche Synchronisation, Untertitel, 5.1, 7.1 und Atmos Audio, HDR). Das kann potenzielle Engpässe bei der Lieferung an Kinos verursachen, unabhängig davon, ob es sich um Satelliten, elektronisches Netzwerk oder physische Festplatte handelt.

Was für eine komplexe Logistik dazu gehört kann man sich vorstellen, wenn man hört, dass für den neuen Hollywood-Film Despicable Me 3 (in Deutschland: “Ich – Einfach unverbesserlich 3, Foto”) durch diese unterschiedlichen Kombinationen 350 Versionen für die internationale Veröffentlichung erforderlich wurden (durch Multiplikation der technischen Systeme und unterschiedlich Audio-, Bild-, Premium-, und Sprachversionen, Datenkompression, Contentverschlüsselelung und weiß was noch alles, können sich heute schon bis zu 500 Kombinationen ergeben). Was für ein Aufwand, der sich ja schließlich auch noch materiell noch rechnen muß.

Kommt der  Niedergang der Film(theater)industrie?

Nun, in amerikanischen Medien hört sich das manchmal sehr dramatisch an. Es mehren sich Stimmen, die deshalb eine SMPTE-DCI 2.0 fordern oder wünschen. Denn bislang gibt es keinen offenen Standard für die Wiedergabe von immersiven Audio-Formate wie Barco Auro, DTSX und Dolby Atmos, und schon keine Standards für den Betrag an zulässigem digitalem Rauschen oder Speckle bei Laserprojektion, um mal etwas tiefer in die Standardisierungstechnik zu greifen. Neue Wiedergabetechniken mit LED-Großdisplays werden die bisherigen Bildwände ablösen. Auch dafür sind neue Wiedergabenormen nötig.  Der europäische Kinosektor mit seiner Vielzahl von Sprachen und vielfältiger Struktur steht dabei vor besonderen Problemen. Und um die Interoperabilität und den Zugang zu Filmen für alle Arten von Kinos zu gewährleisten, wird wohl die Entwicklung einer neuen Generation von Technologiestandards für die Branche in der Zukunft erforderlich werden.

Brauchen wir noch bessere Technik?

Im Prinzip schon, heißt es doch, dass das Bessere des Guten Feind sei. Allerdings fehlt der Begriff “Kosten” in diesem Sprichwort und der Begriff der Wertigkeit in der Beurteilung. Gefragt ist heute die Multimedia-Verfügbarkeit. Immer mehr und besonders immer mehr jüngere Menschen wollen immer mehr “Filme gucken”. Sicherlich sollten die Filme gewisse Grundbedingungen der technischen Qualität erfüllen. Aber dafür reichen die heutigen Basics. Wichtig wird, die Filme dann sehen zu können, wenn man es möchte, während der Busfahrt, und wenn es sein muss auch auf dem Smartphone. Oder - machbar sogar in guter Qualität auf dem Tablet. Nicht nur bei Otto sondern auch bei Steve oder Jasmin Normalverbraucher spielt die technische Qualität eine äußerst geringe Rolle. Die meisten Klicks bei youtube sind wie es mir scheint davon ziemlich unabhängig.

Kann das gute “alte Kino” - und im Grunde bleibt es ja auch mit neuer Technik so bestehen - dann finanziell in einer Zeit kommender VR- und Hololens-Techniken, oder mit 4k-UHD-HDR-TV mit 80-inch-OLED-Display noch bestehen?

Es wird wohl langfristig schwierig. Deutschland ist sowieso ein Land der Kinogänger-Muffel geworden. Besucherzahlen und Einspielergebnis gingen 2016 gegenüber 2015 um 13 % bzw. 12,3 % zurück. Und immer neue Techniken im Filmtheater verlangen aber auch immer wieder neue Investitionen. Ob die neuen Techniken den Filmtheaterbesuch in Konkurrenz zum Fernsehen oder Tablets usw. wirklich wieder beleben können, bleibt zu bezweifeln. Filmtheater als Kleinbetriebe gibt es ja immer weniger und bei den schnellen Innovationszyklen werden sie noch schneller aufgeben (müssen). Das ist auch ein kultureller Verlust.

Welchen Weg man gehen kann, weiß so genau wohl niemand. Ich glaube der einfachste und für alle Beteiligten beste Weg wären neue  interessante und spannende Filme, hergestellt auf der Basis der heutigen technischen Mittel. Mehr Werbung dafür, mehr Berichte darüber in Kulturjournalen, könnte vielleicht noch den Anreiz erhöhen. Man kann ja auch mal die Frage stellen, wo denn viele der neuen auf Filmfesten vorgestellten Filme bleiben. Ein riesengroßer - der überwiegende  - Teil von ihnen kommt überhaupt gar nicht in den Verleih. Das kann durchaus damit zusammenhängen, dass wir hier nur für Deutsch synchronisierte und damit zusätzliche verteuerte Filme für das Allgemeinpublikum abspielen. Die moderne Fernsehtechnik in kleineren (Spezial-)Kinos eingesetzt, im Original mit Untertiteln oder auch ohne, vielleicht sogar mit automatisch übersetzten Dialogtexten wäre vielleicht mal einen Versuch wert. Die automatischen Übersetzungen haben in den letzten Monaten - wohl aufgrund eingesetzter KI (künstlicher Intelligenz) - eine Qualität erreicht, die zwar nicht als gut aber doch als brauchbar bezeichnet werden kann. Sie wird sich durch immer stärkeren Einsatz dieser Technik und BigData-Auswertung zunehmend schnell weiter verbessern. Das allein wäre aber sicherlich keine ausreichende Lösung aber vielleicht einen Versuch wert.

Norbert Bolewski