Production Technology Seminar 2022 der EBU

Ein Kommentar
von Jürgen Burghardt


Das Production Technology Seminar (PTS) der EBU vom 1. bis 3. Februar war auch in diesem Jahr trotz Pandemiebeschränkungen eine der wichtigsten Branchen-Informationsveranstaltungen für alle, die sich mit der Produktion von elektronischen Medien beschäftigen. Zumindest konnte in diesem Jahr wieder eine kleine Anzahl von Teilnehmern in Präsenz in Genf sein, sodass der Charakter der Übertragung eines Live-Events gegeben war. Aber die Mehrheit der bis zu 500 angemeldeten Teilnehmer war dann doch per Stream von zu Hause oder dem Büro zugeschaltet.

Auch wenn die Mitglieder der EBU die öffentlich-rechtlichen Sender in Europa sind, ist die Öffnung der EBU seit einigen Jahren für die Einbeziehung von privatwirtschaftlichen Aktivitäten nur zu begrüßen. Das Internet ist für die Verbreitung von digitalen Medien für viele Menschen bereits wichtiger als die klassischen Sendewege geworden. Umso wichtiger ist es für professionelle Rundfunksender, ob öffentlich-rechtlich oder privat, sich regelmäßig über die sich wandelnde Medienlandschaft und ihre Auswirkungen auszutauschen.

Neben Technologie-Themen für die Medienproduktion sind beim PTS daher auch immer mehr Beiträge zu gesellschaftlichen Auswirkungen der Mediennutzung zu finden. Das ist verantwortungsvoll, denn Technologie ist kein Selbstzweck, sondern liefert Werkzeuge zur informative und kreativen Erstellung von Medieninhalten.

Technologie-Themen und Trends beim PTS


Nachfolgend eine Auswahl der Themen, die im Rahmen der Veranstaltung zur Sprache kamen, inklusive persönlicher Einschätzung:

4K/UHD

Die Themen 4K/UHD und HDR haben sich in der Produktion bereits etabliert und kommen beim Konsumenten auch schon an, zumindest über die Streaming-Plattformen. Erste Produktionen für 4K für portable Geräte werden bereits in Hollywood erstellt. Ob 4K jedoch auf dem Smartphone akzeptiert wird, bleibt abzuwarten.

IT/IP-Technologie

SDI ist tot, es leben SMPTE ST 2110! Auch wenn der Standard ST 2110 sich kontinuierlich weiterentwickelt, wird kein größeres neues Studio-Projekt noch mit einer reinen SDI-Infrastruktur geplant. IT/IP-Technologie ist die Infrastruktur-Technologie, die sich etabliert hat und weiter entwickeln wird. Eine Erwartung hat sich aber nicht erfüllt: Die Netzwerkinfrastruktur ist nicht einfacher aufzubauen, sondern viel komplexer und die erwarteten Kosteneinsparungen haben sich bisher nicht eingestellt. Der große Mangel an IT-Fachkräften tut sein Übriges.

KI/Machine Learning

Mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ist in den letzten Jahren ein Hype entstanden, der neue, vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten eröffnen sollte. Diese Erwartung hat sich zum Teil erfüllt, insbesondere im redaktionellen Bereich, aber für andere Anwendungen ist auch Ernüchterung eingetreten. Es wird noch viel experimentiert, um KI zur automatisierten Erstellung von Inhalten einzusetzen, andererseits ist der Aufwand zum Trainieren von KI oft höher als erwartet.

5G-Netze

5G als vielversprechendes breitbandiges Netzwerk erfüllt seine Erwartungen. Zumindest, wenn man einige Bedingungen beachtet. Technologisch bedingt eignet sich 5G sehr gut für lokal überschaubare Vernetzungen, also als Ersatz für ein RJ45 basiertes lokales Netzwerk oder um ein WLAN-Netz durch ein leistungsfähigeres Netz abzulösen. Viele Produktionen wurden mit Hilfe eines lokalen 5G-Netzes bereits erfolgreich durchgeführt. 5G in der Fläche zu nutzen, als WAN oder GAN bedarf aber der weltweiten Unterstützung durch TK-Unternehmen. Das kann noch einige Jahre dauern.

Cloud

Cloud-Anwendungen sind für alle Branchenteilnehmer bereits vertraute Technologie. Chancen und Grenzen sind bekannt. Übrig geblieben sind aber Fragen und Bedenken zur Datensicherheit, Zugriffsmöglichkeiten und Nutzbarkeit. Mit diesen Fragen müssen Unternehmen sich beschäftigen und diese strategisch lösen.

Immersive Technologien

Was früher einmal mit „Telepräsenz“ beschrieben wurde, ist heute mit dem Begriff „Immersion“ beschrieben, das Eintauchen in einen Medienkonsum „mit allen Sinnen“. Noch werden über VR-Brillen erweiterte (Augmented Reality) und virtuelle Welten (Virtual Reality) präsentiert. Ob diese Art der Immersion langfristig akzeptiert wird. ist fraglich. In diversen professionellen Anwendungen, wie etwa Simulationen. hat sie sich aber bereits etabliert.

„Game Engines in Broadcast Workflows“ sind wegen ihrer hohen Rechenleistung äußerst interessant und versprechen einen weiteren Entwicklungsschritt. Sie unterstützen die Darstellung von virtuellen Welten mit ihren Avataren in Echtzeit. Die hohe Graphikrechenleistung ermöglicht es bereits, Avatare als Abbild realer Menschen zu erstellen sogenannte „virtual humans“.

Arbeitswelt und sonstige Entwicklungen im Medienbereich


Über die reine Technologie hinaus stehen Medienunternehmen heute vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Daher kamen auch folgende, übergeordnete Themen während des Seminars zur Sprache.

Change Management

Noch nie war die Geschwindigkeit des Wandels der Technologie und der Anwendungen so groß wie derzeit, zumindest kommt einem das so vor. Neue Fachkräfte werden händeringend gesucht. Neue Berufsbilder für technische, kreative und organisatorische Aufgaben entstehen. Alle Unternehmen unserer Branche sind sich dessen bewusst und entwickeln Programme, diese Herausforderungen durch eine angepasste Personalpolitik zu bewältigen. Diese Herausforderung wird angenommen, ob das gelingt ist fraglich. Eine starke Spezialisierung von Fachwissen scheint die unausweichliche Folge zu sein.

Fake Detection

Welche Information ist faktisch korrekt, was sind alternative Fakten, was sind wirkliche Fakes? Technologien, mit denen Informationen automatisiert erstellt und verarbeitet werden, also ohne menschliche Kontrolle, gibt es bereits und sie werden auch bereits im größeren Stil eingesetzt, etwa bei der Erstellung von Nachrichtentexten. „Bots“ sind allgegenwärtig und die manipulative Bildgestaltung ist leicht möglich. Alle Medienproduzenten, nicht nur die öffentlich rechtlichen Organisationen, sollten die Verpflichtung annehmen, Fälschungen zu vermeiden und die Herausforderung annehmen, diese zu erkennen. Sind wir noch sicher, ob unsere Realität wirklich real ist. An einem beeindruckendes Beispiel von Manipulation historischen Bildmaterials konnten die Teilnehmer in der Produktion „In event of Moon Disaster“ selbst herausfinden, ob die Meldungen zum tragischen Ausgang der Mondlandung real oder falsch sind.

Metaverse

Das Kunstwort „Metaverse“ beschreibt die Vision eines „Universums aus Metainformation“, das quasi als digitaler Klon einer realen Welt zu verstehen ist. Seit 1990 gibt es das Internet, ab 2022 das Metaverse. Hier einige Aussagen von Chen May Yee, APAC Director, Wunderman Thompson Intelligence: „Das Metaversum ist eine Erweiterung unseres Lebens durch Technologie. Es besteht derzeit aus einer Reihe von virtuellen Welten. In der Zukunft wird das Metaverse eine vernetzte und grenzenlose Welt sein, in der unser digitales und unser physisches Leben vollständig verschmelzen“. Ist das eine erschreckende Vision? Für mich auf jeden Fall, zumindest, wenn z. B. heutige soziale Medien sich in unkontrollierte virtuelle Welten weiterentwickeln und für „digital natives“ die Grenzen zwischen physischem und virtuellem Sein zu verschwinden scheinen.

Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit steht mittlerweile auf allen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Agenden. Auch die Medienunternehmen sind gefordert und berücksichtigen Nachhaltigkeitsaspekte bei ihrer Arbeit.

Beim PTS 2022 wurden täglich mit Hilfe eines „sustainability check“ alle Themen und Vorträge unter diesem Aspekt nochmals diskutiert und kommentiert bzw. Fragen aufgeworfen, inwieweit z. B. auf die Reduktion von CO2-Emissionen Einfluss genommen wurde. Einhelligkeit herrschte darüber, dass für uns alle das Thema „Nachhaltigkeit“ zukünftig kontinuierlich und nachhaltig sehr großen Raum in unserer Arbeit einnehmen wird.

Zusammenfassung – so war das EBU Production Technology Seminar 2022

Das PTS 2022 konnte einmal wieder die Entwicklung von Produktionstechnologien umfassend darstellen und dies mit vielen Projekt-Beispielen und durch kompetente Referentinnen und Referenten veranschaulichen. Der verantwortliche Umgang mit den Technologien, um negative Auswirkungen auf Menschen und die Gesellschaft zu vermeiden, wurde bei allen Beteiligten und in den Kommentaren der Teilnehmer deutlich. Mit Möglichkeiten, die die Technologie bietet, zu experimentieren, ist gut und richtig. Die Grenzen dabei zu erkennen und einzuhalten, ist dabei unerlässlich.