NAB 2022: Nachlese mit Dominique Hoffmann

Dominique Hoffmann, SWR

Die NAB 2022 in Las Vegas markierte so etwas wie die Rückkehr zum normalen Messebetrieb und war das erste große Branchenevent für die Broadcast-Branche. Dominique Hoffmann, Leiterin der Hauptabteilung Distribution und Entwicklung im Südwestrundfunk (SWR),  war vor Ort und beschreibt für uns ihre Eindrücke vom Messegeschehen. Darüber hinaus gibt sie Einblicke in aktuelle Projekte des SWR.


NAB 2022: Wie war die Stimmung unter den Teilnehmenden?
Für mich war es die erste NAB, bisher stand für mich immer die IBC als wichtigster Messetermin auf dem Programm. Einen direkten Vergleich zu früheren Veranstaltungen kann ich daher nicht ziehen. Aus Gesprächen habe ich mitbekommen, dass doch etwas weniger Betrieb herrschte als auf den Events zuvor. Aber dennoch war die Messe sehr gut besucht. Aus Herstellersicht waren manche Stände vielleicht etwas kleiner ausgefallen als gewöhnlich, das mag dem Umstand geschuldet sein, dass vieles erst kurzfristig entschieden wurde. 

Aber der Fokus lag eigentlich sowieso auf den persönlichen Gesprächen. Nach der langen Zeit ohne nennenswerte Veranstaltungen empfand ich es als sehr angenehm, endlich wieder in den direkten Dialog mit anderen Teilnehmenden aus der Branche zu treten, ganz ohne Webkonferenzen und ähnliches. Unser Besuch hat sich mehr als gelohnt: Wir haben vielfältige Eindrücke mitgenommen, die uns für die weitere strategische Ausrichtung bei uns im Haus und die damit einhergehenden Herausforderungen sehr weiterhelfen. 

Welche Neuerungen haben Dich beeindruckt? 
Es gab keine bahnbrechenden Neuerungen. Vielmehr haben die Hersteller die Zeit der Pandemie sehr gut genutzt, um ihre Lösungen rund um All-IP und Cloud im Broadcast weiterzuentwickeln. Die Zeit der „Early Adopters“ ist definitiv vorbei. Wenn ich an meine letzte IBC denke, steckten dort einige Lösungen noch in den Kinderschuhen, die jetzt als ausgereifte Produkte zur Verfügung stehen. Auf dieser Basis lassen sich nun gute Entscheidungen treffen, um die neue Produktions- und Sendeinfrastruktur IP-basiert aufzubauen. 
 

Was waren für Dich die Kernthemen aus technischer Sicht?
Vor allem das Thema Cloud war allgegenwärtig. Mittlerweile haben selbst klassische Hersteller aus dem hardwarebasierten Broadcast-Umfeld alle eine Cloud-Lösung im Portfolio. Diese Lösungen bieten uns im Produktionsprozess ganz neue Möglichkeiten.

Bei uns im Haus steht aktuell im Studioumfeld eine größere Neuerung an, für die wir auf der Suche nach neuen Ansätzen und neuen Produktionsmöglichkeiten sind. Hier stellt sich nach den Eindrücken auf der NAB nun nicht mehr die Frage, ob eine Studioumgebung auf SDI oder IP geplant wird - es wird auf eine IP-Plattform hinauslaufen. Hierbei aber nicht im Sinne einer 1:1 Erneuerung bestehender SDI-Umgebungen, sondern insbesondere darum, die neuen Möglichkeiten und Chancen der IP-Struktur zu nutzen. Wir denken hier u. a. an die flexible Nutzung und Zuweisung von Ressourcen, Skalierbarkeit über die Cloud und über benutzerspezifische Bedienoberflächen (je nach Produktionsanforderung) um nur einige Beispiele zu nennen. 

Die nächsten Schritte werden sein, mit einem Proof of Concept praxisnahe Erfahrungen zu sammeln. Wir haben schon vor einiger Zeit in einem Live-IP-Projekt erste Praxiserfahrungen und Erkenntnisse gewinnen können. Inzwischen sind die meisten Systeme mit Monitoring-, Konfigurations- und Bedienoberflächen ausgestattet, die es einem Operator erlauben, sich auch ohne tiefergehende Netzwerkkenntnisse sehr gut zurecht zu finden. 

Ein weiterer großer Bereich, in dem wir uns neuen Input holen konnten, war die vernetzte Produktionsumgebung. Hier haben wir uns auch  die Newcomer angeschaut, um einen kompletten Marktüberblick zu erhalten. Zum Beispiel war der gesamte KI-Bereich sehr spannend, wie z. B. die Personenerkennung direkt beim Ingest mitläuft, der Text erfasst wird und direkt zur Untertitelung mitverwendet werden kann und somit ein File direkt mit Metadaten angereichert wird.

Neben dem zuvor erwähnten Studioprojekt haben wir auch ein großes Hörfunkprojekt am Start, in dem es auch in Richtung IP geht. Bei allen Projekten stehen Standardisierung, Harmonisierung und Vereinheitlichung über die SWR-Standorte und die ARD-Anstalten hinweg im Vordergrund.

Welche technischen Entwicklungen stehen im SWR in Deinem Bereich derzeit an?

Mit Blick auf den Themenkomplex „Standardisierung und Harmonisierung“ sind wir gerade dabei die ARD Sendeabwicklung Süd umzusetzen, bei der wir auf eine komplett softwarebasierende Umgebung umstellen. Aktuell sind wir dabei den Umstieg für das Programm SWR BW vorzubereiten. Die Programme SWR RP, das Dritte Programm des SR sowie ARD alpha sind bereits über die neue Sendeabwicklung On Air. Der Umstieg für die dritten Programme des HR und BR sind für Ende dieses Jahres bzw.  nächstes Jahr geplant. Einer der Vorteile, die uns die softwarebasierende Umgebung bietet, ist natürlich die Anpassungsfähigkeit. Hierzu sind wir z. B. gerade mit unserem Projektpartner hinsichtlich der Integration der „Klaren Sprache“ im Dialog. 

Mo., 16.05.2022 - 15:03

Ein zweites großes Projekt ist die Erneuerung und Zusammenlegung der Schalträume. Wir haben durch die drei Hauptstandorte  des SWR in einigen Bereichen z. B. noch eine Trennung von Hörfunk und Fernsehen als auch unterschiedliche Workflows und Strukturen. Hier entsteht in Baden-Baden ein zentraler medienübergreifender Schaltraum für alle Standorte, das zukünftige „Media Operations Center“. Das ist zum einen eine technologische Herausforderung,  was die Prozesse und Workflows anbelangt. Viel wichtiger ist aber insbesondere das Thema Change-Management, denn wir wollen unsere Mitarbeitende bei diesem Projekt mitnehmen und eng einbeziehen. Hier ist Kommunikation und Teilhabe, zum Beispiel durch entsprechende Workshops, sehr wichtig.

Welche weiteren Themen haben sich für Dich während der Messe noch herauskristallisiert?
Da wäre zum einen das Thema NDI. Das ist zwar noch nicht standardisiert, aber es ist ein Thema, was alle auf dem Schirm haben. Zum anderen natürlich der Einsatz von getrackten LED Walls in einer Studioumgebung. Das wird mit Sicherheit eines der wichtigsten Themen in der Zukunft sein und die Greenbox mehr und mehr in den Hintergrund rücken lässt. Das ist auch für Moderatoren und Schauspieler deutlich einfacher, da sie sich dann besser orientieren können.

Stichwort Live-/Remote Production. Welche praktischen Erfahrungen habt Ihr aktuell gemacht oder sind geplant?
Spannend ist für mich  u. a. ein Startup im Bereich der Live-Produktionsumgebung, . Sie lässt sich in der Cloud oder on-premise nutzen. Wir überlegen,  die Demo-Flightcases ins Haus zu holen, um erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Das System ist offen für alle Hersteller und lässt sich somit einfach anbinden, um erste Hands On-Erfahrungen zu sammeln. 

Im Zusammenhang mit Remote Production hatten wir in der Vergangenheit auch schon einige Erfahrungen gesammelt, u. a. bei einem Proof of Concept mit Grass Valley.

Zum Thema 5G haben wir zudem zwei Innovationsprojekte am Start. „5G Media2Go“ und das 5G Campusnetz. 

Im Rahmen des Projektes „5G Media2Go“ hat sich der der SWR an einem europaweiten Test zu 5G Broadcast beteiligt, anlässlich des Eurovision Song Contests, der dieses Jahr in Turin, Italien stattgefunden hat. Der SWR hat in Stuttgart zusammen mit RAI in Turin, ORS/ORF in Wien und France Television in Paris das Livefernsehprogramm vom Finale des ESC über sein 5G Broadcast-Testnetz ausgestrahlt. Erstmalig kamen dabei Smartphones zum Einsatz, die 5G Broadcastsignale empfangen und die Medieninhalte wiedergeben können. Die nicht öffentlich erhältlichen Smartphone-Prototypen sind von Qualcomm zur Verfügung gestellt worden, die Netzinfrastruktur für den Test lieferte Rohde & Schwarz.

 

-AB
Bild: Dominique Hoffmann, SWR
Teaserbild: Lindsay Scott, Pixabay