IBC 2022: EDCF-Seminar macht Bühne frei für Kinotechnik

EDCF Seminar auf der IBC 2022

Kinotechnische Themen spielten auf der IBC 2022 in diesem Jahr nur eine untergeordnete Rolle. Umso gespannter waren viele auf das EDCF Global Cinema Seminar, das eines der Highlights des letzten Messetags darstellte. 
 



Über 60 Teilnehmer hatte das Vortragsprogramm mit führenden Branchenexperten in den kleinen Seminarraum gelockt - weit mehr als auf der Anmeldeliste der Organisatoren vermerkt waren. Unter dem Motto „Cinema Looks Forward To A Changing Future“ standen neben einer allgemeinen Marktübersicht Themen wie Cybersecurity, HDR, das Kino-Ökosystem und seine Herausforderungen sowie Audioqualität im Kino auf der Agenda. 
 

Markt mit "Covid-19-Lücke"

David Hancock, Chief Analyst bei OMDIA eröffnete die Vortragsreihe mit aktuellen Zahlen zum internationalen Kinomarkt, der von den pandemiebedingten Schließungen der letzten Jahre stark betroffen war. Hancock spricht von der „Covid-19-Lücke“, die sowohl bei Kinobetreibern als auch den Verleihern signifikante Umsatzeinbußen mit sich brachte. Zwar ist in diesem Jahr eine deutliche Erholung spürbar, die Besucherzahlen steigen vielerorts wieder auf das Niveau von 2019, aber nicht konsistent und in allen Märkten.

Während einige Märkte, u. a. das Vereinigte Königreich, im letzten Jahr stark in den Besucherzahlen zulegen konnten, brauchten einige länger, um wieder Fuß zu fassen. Insgesamt aber ist in der Branche ein Aufwärtstrend zu beobachten. Die Treue der Besucher ist dabei stark vom Content abhängig: Es zeigte sich, dass lokaler Content insgesamt stärker für eine Erholung der einzelnen Märkte gesorgt hat. Bei den Hollywood-Filmen dominierten lediglich Blockbuster-Sequels wie „Spider Man: No Way Home“ und „Top Gun: Maverick“ die Kinokassen.

Wie die Zukunft der internationalen Kinomärkte insgesamt aussehen wird, hängt wohl stark von der weiteren Pandemieentwicklung ab und ob es infolgedessen zu weiteren vorübergehenden Lockdowns mit Kinoschließungen kommt. Dauerhafte Schließungen scheinen aber die Ausnahme zu bleiben. Fazit: Das große Kinosterben, das einige zu Beginn der Pandemie vorhergesehen hatten, ist ausgeblieben. Wohl aber hat sich in einigen Märkten die Marktkonzentration auf wenige große Kinoketten erhöht.

Mats Erixon stellte im Anschluss die Remote North/NCDP Plattform vor, ein geschlossenes Low Latency-Netzwerk, an das verschiedene Universitäten, Musikschulen, Systemspezialisten und Organisationen aus dem Bereich der darstellenden Künste der nordischen Länder (Åland, Dänemark, Estland, Finnland, Grönland, Island, Norwegen, Schweden und dem Vereinigten Königreich) angeschlossen sind. 

Damit sollen unterschiedliche Kulturangebote, vom digitalen Kino über Musikunterricht oder Konzerte und Theateraufführungen professionell remote produziert und verfügbar gemacht werden. Unterschiede im kulturellen Angebot von Stadt und Land will man so ausgleichen.

IP/IT-Netzwerke und ihre Sicherheit

Die Plattform basiert auf der Nimbra WAN Transport Plattform von NetInsight in Verbindung mit VideoXLinks-Systemen und auf Basis des Dante-Netzwerkprotokolls. Damit ist die bidirektionale Signalübertragung sowohl in komprimierter als auch nativer From möglich. Aktuell ist NCDP mit 30 Standorten vernetzt und bezieht dabei bestehende Infrastruktur in den Städten und Regionen ein. Via Glasfaser ist man zudem mit anderen Regionen in ganz Europa verbunden.   

Content Distribution via IP/IT ist auch in den Niederlanden bereits seit Jahren die bevorzugte Methode für die Zulieferung von Inhalten an die Kinos im Land. Welche Gefahren für die Cybersicherheit für alle dabei lauern, das zeigten Cathy Huis in ‘t veld-Esser, CTO von gofilex, und Barry de Bruin, CTO der Pathé-Kinogruppe in den Niederlanden in ihrem Vortrag auf.

Huis in ‘t veld-Esser ging zunächst darauf ein, welche Arten von Cyberattacken es überhaupt gibt (Phishing, Ransomware, Malware) und auf welchen Wegen diese in das Kinonetzwerk gelangen können, etwa über die verwendete Hard- oder Software, über Mobiltelefone oder die Website. Danach übergab sie an Barry de Bruin, der erläuterte, welche Cybersecurity-Maßnahmen bei Pathé in den Niederlanden zum Einsatz kommen.

Er betonte den schwierigen Spagat, den Kinos zwischen Kundenfreundlichkeit auf der einen und notwendigen Sicherheitsmaßnahmen auf der anderen Seite zu bewältigen haben. Bei Pathé Niederlande setzt man bei der Cybersicherheit auf einen hybriden Ansatz, zum einen mit einem Sicherheitsbeauftragten, der für die Einhaltung der geltenden Datenschutzbestimmungen und der rechtlichen Rahmenbedingungen zuständig ist. Zum anderen auf „ethische Hacker“, die für die Systemsicherheit selbst sorgen sollen. 

Bei der Sicherheit der Infrastruktur konzentriert man sich vor allem auf die WAN/ LAN-Netze und deren Endpunkte, die digitalen Plattformen sowie die 365-Grad-Microsoft-Umgebung. Bei letzterer geht es vor allem darum, die Mitarbeiter, die mit vielen verschiedenen Endgeräten zu tun haben, durch verschiedene Maßnahmen wie Spam- und Phishing-Filter sowie Multifaktor-Authentifizierung vor Bedrohungen von außen zu schützen.

Mit Bedrohungen des Kinomarkts ganz anderer Art beschäftigte sich Radoslav Markow, IMI Bulgarian Academy of Science. Er schaute darauf, welche aktuellen Konflikte auf die Branche selbst einwirken und welche Herausforderungen sie dadurch zu bewältigen hat. Die Protagonisten, d. h. die Kinobesucher, Kinobetreiber, Hersteller, die DCI, Standardorganisationen wie SMPTE oder ISO, staatliche Organe und die Studios/Verleiher stellte er dabei den Antagonisten gegenüber, d. h. den Anforderungen, die von außen auf die Branche wirken wie den Green Deal, das Recht auf Reparatur in der EU, die Nachwirkungen der Pandemie und behördliche Vorgaben allgemein.

Er bemängelte, dass die Kinos zwar alles daran setzten, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, es aber von Seiten der Hersteller in vielen Punkten keine Unterstützung oder Strategie gäbe. Auch müsste die aktuelle Weltlage mit steigender Inflation, Kriegsgefahr und einem Rückgang der Investitionsbereitschaft in Betracht gezogen werden. Er sieht es daher als unabdingbar an, dass alle Seiten stärker aufeinander zugehen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Nur dann könne eine dauerhaft stabile Kinobranche Realität werden.
 

EDCF

Neue Entwicklungen bei Projektion und Ton

Um das Thema Audioqualität im Kino ging es im Vortrag von Julian Pinn. Er startete mit den SMPTE-Standards für Immersive Audio im Kino und warf dann einen Blick zurück auf die Entwicklung des Tons im Kino von seinen Anfängen bis heute. Er erwartet aktuell und in den kommenden Jahren das Eintreten neuer Marktteilnehmer, die neue Erkenntnisse mit sich bringen, was auch die neue Ausgestaltung von Begrifflichkeiten und Vorgaben erfordere. 

Er ging dann auf das menschliche Gehör und auf den Tonumfang ein, den das Gehör insgesamt wahrnimmt bzw. welche Bereiche davon auf gesprochene Sprache oder ein Konzert entfallen. Dies verglich er mit dem Tonumfang eines 5.1-Systems aus den 1970-er Jahren. 

Im Anschluss daran erinnerte Pinn an die beiden ISO-Standards ISO2969 und ISO 22234, die die elektroakustische Umgebung in für das Kino produzierenden Tonstudios und den Kinosälen festlegen. Dabei werde klar, dass eine zunehmende Anzahl von Content nicht für das Kino abgemischt wäre. Das sei ein Indiz für die Unkenntnis der Kinonormen oder rühre daher, dass die Tonmischung für das Kino quasi „in letzter Minute“ erstellt würde. Bezüglich Lautheit verstünden auch technisch gute Mischungen nicht unbedingt den Schalldruck, der mit solchen Aufnahmepegeln verbunden ist.

Es müsse daher mehr dafür getan werden, auch bei zukünftigen Audioformaten die für das Kino vorgegebenen Standards in Sachen Audioqualität einzuhalten, so wie es historisch bei proprietären Formaten eine Qualitätssicherung und Schulung als Teil des Angebots gab. 5.1 ist Pinn zufolge nach wie vor eine sehr gute Alternative für den guten Ton im Kino. Branchenzusammenschlüsse und Verbände wie UNIC, die NATO, SAWA, TASA, Studios oder auch EDCF und AES müssten zusammen dazu beitragen, mit entsprechenden Bildungs- und Beratungsangeboten die Tonqualität auch bei immersive Audio sicherzustellen.

Um das Thema HDR im Kino ging es bei Tom Bert, Head of Product von Barco. Er rief zunächst die Definition von HDR in Erinnerung. Laut SMPTE ST2084 EOTF ist HDR eine Kombination aus Spitzenhelligkeit und Schwarzwert entweder mit mehr als 1000 nits Spitzenhelligkeit und weniger als 0,05 nits Schwarzwert oder mit mehr als 540 nits Spitzenhelligkeit und weniger als 0,0005 nits Schwarzwert. Danach lieferte er Gründe für den Einsatz von HDR im Kino.

Nach dieser allgemeinen Einleitung erläuterte Bert vereinfacht, was Barco mit seinem HDR Lightsteering-Ansatz verfolgt, nämlich die Helligkeit in die Bildbereiche zu lenken, in denen sie gebraucht wird. Bereiche, die mit weniger Helligkeit auskommen, erhalten genau so viel Licht wie nötig. Dies führe insgesamt zu sehr hohen Kontrastwerten.

Adam MacDonald, GDC, stellte abschließend die Frage, wie die Zukunft des digitalen Kinos aussieht. Wird es ein DLP-Cinema oder LED-Cinema oder doch etwas völlig Neues?
Er griff in seinem Vortrag zunächst auf, welche Projektionstechnik sich aktuell im Kino befindet, nämlich einmal die auf der DLP Cinema-Technologie von Texas Instruments basierenden Geräte von Barco, Christie und NEC, zum anderen die Projektoren mit SXRD-Chips von Sony Digital Cinema. Alle Kinoprojektionssysteme müssen die DCI-Spezifikationen erfüllen und Inhalte in verschlüsselter Form von Key Delivery Messages verarbeiten können.

Zu den beiden bisher marktdominierenden Projektoren auf DLP-Basis (ca. 90% Marktanteil) und SXRD-Basis (ca. 10% Marktanteil) gesellen sich inzwischen auch LED-Cinema-Screens (ca. 1% Marktanteil), die die DCI-Vorgaben ebenfalls erfüllen. 2017 wurde das erste Kino in Südkorea mit LED-Screen (Samsung) und GDC Playback-Servern eröffnet. Das weltweit größte LED-Display im Kino kann man derzeit in Peking/China erleben: Hier kam ein Unilumin LED-Kinoprojektionssystem zum Einsatz.

David Hancock schloss seine Moderation in Amsterdam mit dem Zitat „The only thing that can kill cinema is cinema itself.” Dem ist nichts hinzuzufügen.

-AB
Bild: Jürgen Burghardt